Meine erste Luege
erfüllt er sich nachher nicht.«
Wir haben einen Aschenbecher aus geblasenem Glas gekauft und an einem Tischchen von einer Bar am glitzernden Meer und bei einer Kirche mit einer goldenen Kugel an der Spitze Ansichtskarten geschrieben, an Giulia, an Oma, an Andrea und Ciccio, auch an Antonella, ihr habe ich die mit der Gondel geschickt, ich habe »GrüÃe aus Venedig« draufgeschrieben, ich wollte schreiben »Ich liebe dich«, aber das war mir peinlich.
Wir haben ein sehr gutes Eis gegessen, so eine Art Schokoladenriegel, der in einem Glas mit Schlagsahne versunken ist, der Kellner hat es uns empfohlen, und Mama hat gesagt:
»Ja, wir probieren es, wir haben doch Ferien, und da muss man die regionalen Spezialitäten ausprobieren.«
Es muss schön sein, in einem Ort wie Venedig zu wohnen.
Ich frage mich, wie es gewesen wäre, wenn sie meinen Storch umgeleitet hätten und ich in Venedig geboren worden wäre.
»Aber im Winter ist Venedig melancholisch.«
Ja, dann nicht, ich denke, da ist es besser, dass wir da sind, wo wir sind.
Mama sagt, dass Venedig im Winter wie eine Erkältung ist, die Welt drauÃen noch gedämpfter und ferner, und der Kopf, der wegen nichts dröhnt, und dir läuft die Nase wie den streunenden Katzen, die eine Schnauze in Form eines Herzens haben, aber niemand hat das Herz, sie ihnen sauber zu machen.
Am deutlichsten erinnere ich mich daran, dass es in Venedig entweder viel Lärm oder viel Stille gibt. Entweder läuft man zwischen vielen Leuten herum, die einem auf die FüÃe treten oder sich in manchen total engen StraÃen oder auf den Brücken stauen, und alle schreien in verschiedenen Sprachen, und die Gondolieri singen, und die Motorboote machen Krach, und irgendwer hämmert immer irgendwo, oder ein Radio läuft, oder Leute rufen sich irgendwas zu. Oder, wenn du dich zufällig umdrehst, findest du vielleicht einen Platz, wo niemand mehr ist, und du hörst nur das Wasser in den Kanälen oder das Echo deiner Schritte, die dir folgen, oder das Gekreische der Möwen, die sich etwas zuschreien. Als wärst du plötzlich in einer anderen Welt, aber all dies geschieht zufällig, weil du nicht wirklich weiÃt, wo du bist, du hast dich wieder einmal verlaufen. Doch es ist eine heitere Stille, anders als die jetzt.
Ich höre die Stille, und plötzlich empfängt das Ohroskop ein Signal. Ein Gescharre von FüÃen hinter der Tür. Heftige Blutwellen steigen mir in den Kopf, im Kopf braut sich ein Sturm zusammen. Ich höre noch genauer hin. Da bewegt sich etwas. Ein Knarren, wie wenn man aus dem Bett steigt, und ein schleifendes Geräusch von FüÃen, die den Boden auf der Suche nach Pantoffeln abtasten, etwas, das dem Flattern eines Nachtfalters gleicht, der in einem Lampenschirm gefangen ist.
Es kann nicht wahr sein, ich hoffe so sehr, dass es wahr ist, ich hoffe aus ganzem Herzen, dass es Mama ist, Mama, die endlich beschlossen hat, aufzustehen und wieder bei uns zu sein. Wie solche, die sich einen Augenblick, bevor sie sterben, an ihr ganzes vergangenes Leben erinnern, sehe ich in einer Sekunde das ganze zukünftige Leben vor mir, jetzt, wo wir wieder anfangen zu leben. Wie als ich hoffte, als ich in der Wohnung nebenan eine sympathische kräftige Stimme laut und falsch singen hörte, dass es nicht unser nächster Nachbar wäre, sondern jemand noch viel Näheres, ein allernächster Nächster, der unter der Dusche oder beim Rasieren Liebeslieder und Wie-eiskalt-ist-dies-Händchen für Mama und auch für mich singt.
Ich höre weiter zu.
Die Geräusche werden klarer. Ich kann Stimmen unterscheiden. Stimmen von Leuten, die ich nicht kenne. Der Nachbar mit der Opernleidenschaft ist vor zwei Jahren ausgezogen.
Ich habe Mama gebeten, dass es wahr sein soll, aber es ist nicht wahr.
Die Geräusche kommen nicht aus Mamas Schlafzimmer. Da ist irgendein Tuscheln vor der Wohnungstür.
Bevor ich auch nur darüber nachdenken kann, klingelt es.
Einmal, zweimal.
Wer kann das sein, um diese Zeit? Wie sind sie ins Haus gekommen? Wie haben sie es geschafft, mich zu entdecken? Ich bin immer mucksmäuschenstill gewesen.
Ich halte den Atem an und nähere mich dem Türspion, ich bin ganz leise, wie ein Dieb auf der falschen Seite, einer, der Angst hat, dass jemand entdeckt, dass er in seiner Wohnung wohnt.
Ich sehe zwei vermummte alte Mummelfrauen. Blu fängt an zu
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