Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)
trotzdem. Nicht in sexy pink, sondern im dezenten schwarz. Schwarz macht bekanntlich schlank und wer sieht mich schon ausgezogen. Der Spruch meiner Mutter „Heidi, zieh anständige Unterwäsche an. Wenn dir mal was passiert.“ prallt heute noch an mir ab. Wen interessiert meine Unterwäsche, wenn ich unters Auto komme? Außerdem gehe ich davon aus, dass das Krankenhauspersonal diskret genug wäre und nicht in der Krankenakte erwähnt, wie ich mich dünner mogele. Natürlich hätte ich mir jetzt lieber einen seidigen Hauch von Nichts in rot gegönnt, doch mit der Zeit lernt man, praktisch und sparsam zu denken. Wenn ich mich eine halbe Kleidergröße schlanker schummele, kann das ein oder andere Ausrangiert-wegen-Verfettungs-Stück vor der Altkleidersammlung gerettet werden.
Der ungeplante Einkauf kostet mich zwanzig Minuten. Ich hetze zum Optiker und marschiere geradewegs in den kleinen Optikerladen, von dem ich seit Jahren meine Kontaktlinsen beziehe.
Herr Hunold, der Inhaber, begrüßt mich freundlich. „Wie kann ich Ihnen heute helfen?“
„Ich habe in der letzten Zeit ständig Probleme mit meinen Kontaktlinsen. Meine Augen sind so trocken“, klage ich mein Leid.
Der rückt seine fassungslose Brille zurecht und schaut mich prüfend an. „Hm. Sie haben ja schon Linsen für sehr trockene Augen, da muss ich mal schauen, was wir da noch machen können. Im Laufe des Lebens reduziert sich die Tränenflüssigkeit. Das Problem kennen wir. Folgen Sie mir doch bitte in die Kabine, dann guck ich mir das mal genauer an.“
Artig folge ich Herrn Hunold die kleine Wendeltreppe nach oben.
„Na, dann wollen wir mal sehen“, meint er, nachdem ich mich in den weichen, beigen Lederstuhl niedergelassen habe.
Herr Hunold setzt sich auf den kleinen Rollstuhl vor mich und schaut mir mit seinem Gerät in die Augen. Er nickt zustimmend. „Ja, die sind wirklich sehr gerötet“, dann kramt er minutenlang in seinem großen Schrank und drückt mir schließlich eine Probepackung Linsen in die Hand, die ich, selbstverständlich kostenfrei, ausprobieren soll.
„Vielleicht geht es mit denen ja besser“, versucht er mich wenig überzeugend zu ermutigen. „Es wäre vielleicht sinnvoll, wenn sie Brille und Kontaktlinsen abwechselnd tragen würden. Ich habe viele Kunden, die mit zunehmendem Alter von Linsen wieder komplett auf Brille umsteigen. Zu besonderen Anlässen können sie ja immer noch Linsen tragen.“
Ich bin geschockt. Ich soll mit Brille rumlaufen? Ich habe noch nie mit vier Augen das Haus verlassen, besitze lediglich eine uralte Brille, die ich nur vorm Fernseher und im absoluten Notfall anziehe. Als Jugendliche lief ich jahrelang ohne Sehhilfe herum. Alles eine Frage der Gewöhnung und Orientierung. Wenn mich jemand vom Weiten grüßte, habe ich einfach zurück gegrüßt, ob ich gemeint war oder nicht. Und in der Schule hatte ich ja Linda. Sie schrieb die Sachen von der Tafel ab, die ich anschließend von ihrem Heft abpinnte. Erst mit Zwanzig habe ich Kontaktlinsen für mich entdeckt. Sollte diese Ära jetzt vorbei sein? Und das alles nur wegen ein paar Körperflüssigkeiten, die nicht mehr so flossen wie sie sollten?
Lustlos schaue ich mich im Laden um und probiere halbherzig ein Brillengestell, was ich mir nach zwei Sekunden angebiedert von der Nase reiße.
„Ich persönlich trage ja viel lieber Brillen. Es gibt so tolle Modelle und Brillen können wunderbare modische Accessoires sein“, versucht Herr Hunolds junge Optikerfachfrau mit weiblicher Überzeugungskraft zu punkten.
„Versuchen Sie die mal.“
Sie greift nach einem schmalen Stahlgestell und hält es mir aufmunternd zu. Zögernd komme ich ihrer Bitte nach und ziehe meinen Spiegelblick eine Frazze.
„Die ist toll, betont ihr schmales Gesicht. Ganz toll. Sie haben ein perfektes Brillengesicht“, bricht sie in Begeisterungsrufe aus.
„Finden Sie? Ich weiß nicht“, bocke ich und nehme sie gleich wieder runter.
Wenn man aussieht, als wäre man einem Werbeplakat für Fielmann entsprungen, hat man leicht reden. Die auffällige, rote Vollrandbrille von DKNY bildet einen wunderbaren Kontrast zu ihren dunkelbraunen Haaren und Augen. Irgendwie hat sie es geschafft, sich einen Lippenstift im exakt den gleichen knallroten Rotton zu besorgen. Mich dagegen machen Brillen streng, fremd und alt. Lippenstift benutze ich sowieso nie.
Ich greife zu seiner schwarzen Brille mit Kunststofffassung. Als ich sie abnehme und leicht von mir halte, um
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