Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)
malen. „Warum lässt du die Mama immer so mürrisch aussehen?“, forschte ich bei Sara nach. „Mal die Mama doch mal fröhlich.“
„Was meinst du?“, fragte Sara irritiert. „Ich kann das nicht anders“, und verweigerte weitere Strichführungsübungen.
„Ach, Frau Heiermann, kann ich sie kurz sprechen?“
Frau Schink tippt mir auf die Schulter. Sie ist eine kleine, zierliche Frau, die ihr halbes Leben in diesem Kindergarten verbracht hat. Ausgerechnet in ihre Gruppe sind wir gelandet. Stockfromm und humorlos, singt sie morgens mit den Kindern Kirchenlieder, statt einen fröhlichen, bunten Morgenkreis abzuhalten.
„Natürlich“, erwidere ich lächelnd und denke über eine Ausrede nach, falls sie mich wieder auf ein ungeliebtes Elternamt anspricht.
Bei der letzten Elternratsversammlung hatte ich mich leichtsinnig zum Küchendienst gemeldet. Dienstags und freitags verbringe ich nun meinen Vormittag in der Kindergartenküche, schäle tonnenweise Obst und Gemüse, während meine Mutter auf Lena aufpasst. Da Susanne, eine berufstätige Mutter, nach einigen Wochen ihr Einkaufsamt wegen der Doppelbelastung niederlegen musste, übernahm ich ihren Dienst ebenfalls.
„Ist für dich doch nicht so ein Aufwand“, meinte sie. „Auf dem Weg zu deiner Mutter kommst du direkt am Großmarkt vorbei.“
Alle vier Wochen helfe ich im Außengelände, jäte Unkraut und kontrolliere die Spielgeräte auf herausragende Nägel und Splitter. Ich nehme an allen Bastelnachmittagen in der Oster-, und Vorweihnachtszeit teil. Dieses Jahr werde ich das hohe Amt des Fackelträgers beim Martinszug bekleiden. Ich sammele leere Joghurtbecher, Klo- und Küchenrollen für die Bastelecke. An Kindergartenfesten backe ich mindestens einen Kuchen, helfe beim Auf- und Abbau und sorge selbstverständlich auch hinter den Verkaufsständen für Umsatz. Letzten Monat habe ich für den Eingangsbereich einen Buchsbaum gespendet.
„Frau Heiermann, also, wie soll ich sagen“, beginnt Frau Schink und zupft verlegen an ihrer Dauerwellenfrisur. „Wir hatten heute Morgen den Gedenk Gottesdienst für unseren lieben verstorben Pfarrer Clemens und waren anschließend mit den Kindern auf dem Friedhof, ein paar Blumengrüße niederlegen.“
„Ach ja, davon hat Sara mir erzählt. Sie hat sich schon sehr auf den Ausflug gefreut.“
Das stimmte. Sara lag mir seit Wochen in den Ohren, dass sie endlich einen richtigen Friedhof sehen wollte. Sie ist eines der wenigen Kinder, die gerne einmal auf eine Beerdigung gehen würde. Rüdiger von Schlotterstein lebt schließlich mit seiner Familie auf dem Friedhof. Wo könnte sie ihrem Idol also näher sein.
„Genau das meine ich. Sara hat sich unerlaubt von der Gruppe entfernt. Auf einem der älteren, nicht mehr gepflegten Gräbern am Rand, haben wir sie schließlich gefunden. Sie war dabei den Grabstein mit den Händen auszubuddeln. Einen Grufteingang wollte sie finden. Also, wissen Sie, Frau Heiermann, ich finde das nicht angebracht.“
„Wir lesen zuhause gerade der kleine Vampir von Angela Sommer-Bodenberg“, versuche ich eine Verteidigung. Frau Schink schaut mich fragend an. Wahrscheinlich kennt sie die bekannte Kinderbuchserie nicht mal.
„Ich habe bisher nie etwas gesagt, wenn Sara mit ihrem Karnevalsumhang in den Kindergarten kommt, auch wenn das Ding wirklich entsetzlich stinkt. Aber langsam geht mir das zu weit. Ständig jagt sie den kleineren Kindern Angst ein. Als Leonie sich letzte Woche das Knie aufgeschlagen hat, ist Sara hinter ihr her gelaufen und wollte ihr Blut trinken. Leonie war danach ganz verstört. Das geht so nicht. Sprechen sie doch mal mit ihr.“ Anklagend fährt sie fort, „vielleicht sind diese Bücher nicht das richtige für sie. Es gibt doch so viele nette Bücher für das Alter. Soll ich ihnen mal ein paar mitgeben, damit Sara wieder auf den rechten Weg kommt?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, läuft sie in den Gruppenraum und kehrt mit Gott liebt alle Tiere und Blümchen zurück.
Endlich kommt Sara und erlöst mich. „Können wir jetzt gehen, Mama.“
„Ja, mein Schatz“, antworte ich und werfe hastig ihre Jacke über. „Wir müssen auch ganz dringend nach Hause. Danke Frau Schink, ich rede mit ihr. Das geht natürlich nicht. Danke für das Buch.“
„Was für ein Buch?“ Neugierig reißt Sara „Gott liebt alle Tiere“ aus meiner Hand und begutachtet verächtlich den Umschlag. „Das ist doof. Warum nimmst du das mit?“
Frau Schink
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