Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)
eines Fleckens entdecken. Wo ist der Kochgeruch? Hatte sie Zeit zum Umziehen oder sogar zum Duschen? Ich rieche unauffällig an meinem Shirt.
„Valentin, nun komm, die Mama möchte gehen“, ruft sie ihren kleinen Braten, der gerne mal die anderen Kinder schubst, wenn keiner hinguckt. Der reagiert jedoch nicht und rauft weiter mit seinem Kumpel um ein Auto. „Valentin, nun komm schon“, lockt sie süßlich weiter. „Du hast doch sicher Hunger, mein Großer. Heute gibt’s was gaaaaaaaaaaaaanz Leckeres zum Mittag.“
Endlich reagiert der Bengel und lässt von der Schlägerei ab. „Oh, super, Mama. Gehen wir zu McDonalds?“
Bio-Ratatoullie wird ganz rot und schaut sich pikiert um. „Valentin, also wirklich. Das hört sich ja an…“, lacht sie verlegen. „Ehrlich Gitte, dabei gehen wir maximal zweimal im Jahr zu McDonalds“, betont sie extra laut, damit Frau Schink, die Erzieherin, es ebenfalls hört. Dann zerrt sie Klein Valentin grob aus dem Gruppenraum, beeilt sich nach Hause zu kommen und winkt nur kurz Frau Becker zu, die ihre Tochter Giselle abholt.
„Hello, Giselle, Darling. How was your day?“, begrüßt Frau Becker ihre Tochter, dabei zieht sie die Silben übertrieben langsam und deutlich in die Länge, in etwa so: „Heeelllllloooo, Giselle, Daaarrrrliiiinng. Haaauuu PAUSE wahhhs PAUSE yooor PAUSE däääääjjjj?“
Ich finde es ja in Ordnung, dass sie ihre Tochter zweisprachig aufwachsen lässt, obwohl Englisch weder ihre Muttersprache noch die ihres Mannes ist. Die Crème de la Crème dieser Gegend will sich eben abheben. Aber muss sich das so anhören, als hätte sie eine „Englisch for Beginners Cd“ verschluckt? So spricht doch kein Mensch! „Haaaalllllloooooo Saaaaaaaaaaaaaaara, wiiiiih PAUSE waaahrrrr PAUSE deihnnn PAUSE Taaag?“
„Es ist heutzutage von solch elementarer Wichtigkeit, dass die Kinder später den internationalen Standards standhalten können. Die Beherrschung der Welt- und Wirtschafssprache sollte da schon im Kindesalter eine Selbstverständlichkeit sein“, lamentierte sie in einer Elternratssitzung und schlug vor, dass die Kinder in unserem Kindergarten Intensiv-Englischkurse erhalten sollten.
Ich gebe Sara ein Zeichen, dass ich da bin, sortiere noch rasch ihren Hacken, drehe die Matschhose auf rechts, lege eine neue Packung Papiertaschentücher ins Fach und packe die Strickjacke und das vor Dreck stehende Stoffeinhorn ein, was sie unbedingt heute Morgen mitnehmen wollte. „Ich muss mal Mami“, ruft sie.
„Kann das nicht bis zuhause warten?“
Sie schüttelt den Kopf.
„Dann lauf noch schnell, ich warte.“ Ich bin froh, dass sie alleine abzieht und mich nicht bittet mitzukommen. Kindergärten sollten eigene Klofrauen haben, der Geruch und der Anblick ist mittags alles andere als appetitlich.
Ich nehme Lena auf den Arm, schuckel sie ein bisschen hin und her und studiere dabei die neusten selbstgemalten Bilder der Gruppe. Frau Schink sorgt dafür, dass alle vier Wochen eine wechselnde Bilderausstellung im Vorraum stattfinden. Diesen Monat heißt das Thema „Meine Familie“. Saras Freundin Lilly hat sich mit Mama und Papa lächelnd auf einer Blumenwiese stehend gemalt, eingerahmt von vielen kleinen roten Herzchen und Blumen. Auf dem Bild vom kleinen Finn, der erst dieses Jahr in den Kindergarten gekommen ist, befinden sich lediglich ein paar Kreise mit Punkten. „Finn und Mama beim Spazierengehen“ hat Frau Schink darunter geschrieben. Es dauert nicht lange, bis mir Saras Bild ins Auge springt. Vorwiegend in dunklen Braun- und Schwarztönen gehalten, erkennt man eine winzige Lena mit gelben Haaren, einen kleinen Papa mit ein paar kurzen Elefantenhaaren, ihr Selbstportrait mit zwei langen Strichen am Mund, sollen wohl Vampirzähne sein, und eine riesige, massige Gestalt mit unförmigen Kopf und Körper, deren Mundwinkel böse nach unten hängen.
Verstohlen prüfe ich ob jemand guckt, angele den schwarzen Kugelschreiber aus der Handtasche und korrigiere den Mund der Barbapapafrau in einen freundlicheren Winkel nach oben. Die Stummelarme modifiziere ich ebenfalls, zeichne sie etwas länger nach. Ich habe mal in einem Tatort gesehen, wie ein Kinderpsychologe aus einem selbstgemalten Bild wie aus einem Buch lesen konnte. Das misshandelte Mädchen hatte die Mutter ohne Arme gemalt. Für den Psychologen ein eindeutiges Indiz, dass die Mutter diejenige war die zuschlug. Seitdem gucke ich ganz genau hin, was meine Töchter so
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