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Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)

Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)

Titel: Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Hesse
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immer wieder Privilegierte von der Seite rein. Zwei hippe Partyschnallen, die er mit Küsschen rechts und links begrüßt, stolzieren hochmütig an dem niederen Volk vorbei. „Hier versauern wir doch“, stöhne ich.
    „Ach was, das geht ganz schnell. Pass auf.“ Linda reckt den Kopf nach oben und versucht eine Kontaktaufnahme zu dem kleinen, bulligen Securitymenschen. Ihre Blicke treffen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Linda schenkt ihm ihr verführerischstes Lächeln. Es funktioniert! Doch dann wandert sein Blick ungerührt weiter und bleibt an einer hochgewachsenen, schwarzhaarigen Schönheit mit knallrotem Lippenstift hängen. Er winkt das Schneewittchen durch, obwohl die nicht mal gelächelt hat.
    „So ein Arschloch“, mault Linda. „Früher hat das immer geklappt.“
    „Vielleicht steht er einfach nicht auf Blond. Die Zeiten ändern sich. Heute ist mehr der Dita von Teese Typ gefragt, weißt du“, tröste ich.
    „Meinst du?“
    „Ja bestimmt.“ Wenigstens hat Dita von Teese Lindas Jahrgang. Das schluckt sie.
     
    Es dauert eine halbe Stunde, bis auch wir rein gebeten werden. „Neue Männer braucht das Land“ begrüßt uns Ina Deter schon im Vorraum. Linda fühlt sofort den Beat, swingt Richtung Tanzhalle und startet einen wilden Tanz. Dabei schreit sie den Text lauthals mit, schwoft sich den ganzen Singlefrust von der Seele. „Er muss nett sein auch im Bett. Kratze es in Birkenrinden. Wo kann ich es was Liebes finden. Schreib`s in gold auf die Altäre. Ich komme nicht mit der Schere. Ich sprüh´s auf jede Wand, neue Männer braucht das Land.“
     
    Früher hätte ich zu Linda gesagt, „komm wir drehen erst mal eine Runde.“ Das machte man damals so. Man ging einfach durchs volle Lokal, tat als suche man jemanden oder wäre auf dem Weg zum Klo und checkte das männliche Material. Fand man ein lohnenswertes Objekt, stellte man sich offensichtlich in seine Nähe und wartete darauf entdeckt zu werden. Ab einem gewissen Alter geht man nicht mehr rudelweise auf die Toilette.
     
    „Ich muss mal ganz dringend“, raune ich Linda ins Ohr und torkele alleine zur Toilette. Meine Blase platzt aus allen Nähten, der Raum dreht sich. Bloß an etwas anderes denken, nicht draufdrücken. Man kann den Auflauf vor den Toiletten bereits vom Weiten erahnen. Die rosa Schweinchen sind auch hier. Ich geselle mich hinter Klaudi, die sich kichernd mit Kati über einen Typen unterhält.
    „Er ist bestimmt nur schüchtern. Ich hab doch gesehen, wie er dich anschaut. Du musst die Initiative ergreifen“, redet die kleine zierliche Kati auf ihre untersetzte Freundin mit Doppelkinn ein.
    „Meinst du wirklich?“ überlegt diese und richtet in einer Tour ihre schlecht sitzende Hüftjeans, die den Kampf gegen die Speckröllchen längst verloren hat.
    „Klar, gleich gehst du hin und sprichst ihn einfach an“, ermuntert Kati sie weiter und rückt auf, als die Schlange sich langsam wieder in Bewegung setzt. Gott sei Dank, bin ich aus dem Alter bereits raus. Ich bin eine zweifache Mutter, mit Ehemann und kleinem Reihenmittelhaus. Die Hirschjagd hat sich längst erledigt.
     
    Äußerlich geduldig warte ich zivilisiert, mache ein kultiviertes Gesicht, schließlich scheine ich eine der ältesten hier zu sein. Ich habe eine Vorbildfunktion, drängele mich nicht vor, lege mich mit niemandem an und weiche nicht auf die Herrentoilette aus. Ich habe meine menschlichen Bedürfnisse absolut unter Kontrolle. Nach weiteren, endlosen Augenblicken und einem nicht nennenswerten Toilettenumschlag, werde ich nervös. Ich presse meine Beine zusammen und zappele herum, scheiß auf die Vorbildfunktion. Ich stehe kurz davor, doch auf die Männertoilette auszuweichen, als sich die Schlange wieder in Bewegung setzt. Eine weitere kleine Ewigkeit vergeht, ohne dass etwas passiert. Um mich abzulenken, stoppe ich die Zeit im Kopf: Rein in die Toilette, verschließen, Klobrille nach Pipiresten absuchen, ggf. mit Klopapier auslegen oder mit dem mitgebrachten Sagrotantuch abputzen oder drauf verzichten, wenn man gute Oberschenkelmuskeln hat - so wie ich, jahrelanges Klo-ohne-Brille-Berühren-Üben sei Dank - Jeans runter, Slip runter, setzen oder nicht setzen und pieseln, Klopapier abreißen, abputzen, Slip hoch, Hose hoch, Reißverschluss zu, Klamotten richten, spülen, fertig.
     
    Warum geht denn keine von diesen verdammten Türen endlich auf? Ich schließe gequält die Augen, stelle mir vor, wie ein altgewordener Harry Wijnvoord um die Ecke

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