Meine Frau will einen Garten
ich heimlich mitgenommen habe, um das fein austarierte Architekten-Arrangement aus grünen und einem roten Apfel zu ruinieren. Aus reiner Rachelust.
Zwei Wochen später sitzen wir wieder artig im Reich der Gräulichen. Ich bemühe mich, nicht zu der Apfelschale zu schauen. Als mir die Gräuliche ein Wasser vorsetzt, lächelt sie mich charmant an und stellt einen kleinen Teller mit einem roten Apfel daneben. Pia, das sehe ich aus den Augenwinkeln, wünscht sich, dass sich der Boden auftut, um sie zu verschlingen. Der Boden tut ihr den Gefallen nicht.
Die Gräuliche ist ganz aufgeräumt und sagt: »Fertig, der Entwurf ist fertig.« Sie schafft es, dass sich dieser einfache Satz anhört wie »Es ist vollbracht«. Dann zeigt sie uns den Plan.
Was soll ich sagen. So suspekt mir die Gräuliche auch ist: Der Entwurf sieht perfekt aus. Wir haben drei Kinderzimmer mit Schlafgalerien, einen Spielflur für das Klavier, eine Minibibliothek, eine gigantische Küche mit, ja!, mit einem herrlichen Metzgerblock … Wir haben ein Schlafzimmer mit eigenem Bad und sogar noch ein kleines Gästezimmer, dazu ein Kinderbad. Und einen Keller. Und das alles in einem superschmalen Haus, aber so, dass es gar nicht schmal aussieht, weil die Gräuliche viele verschiedene Ebenen gegeneinander versetzt und alles bis unters Dach und bis auf den letzten Millimeter ausgereizt hat. Dabei sehen die
Grundrisse ganz einfach aus. Und sogar ein kleines Pappmodell hat sie vorbereitet, damit wir sehen, wie das Licht durch die vielen freundlichen Fenster einfällt. »Hier«, sagt sie, »das schmale Haus.«
Ich hebe es hoch und gehe zum ersten Mal mit den Augen durch unser Haus. Zum ersten Mal denke ich: unser Haus. Nicht wie bisher »Pias Haus«. Oder »Haus am Stadtrand«. Oder »Schuldenfalle« oder »Vorhölle«. Oder was ich sonst bisher gedacht habe. Ich denke: unser Haus. Unser schönes Haus. Ich bin glücklich. Am liebsten würde ich die Gräuliche umarmen. Das geht nicht. Ich sage nur: »Schön.« Pia sagt: »Sehr schön.« Was wir aber beide meinen, ist: »Unser Haus.«
Würde man diesen Gedanken summen, dann hörte er sich an wie in diesem bekannten Song: »Our house, in the middle of our street, dumdum, our house, bimbam, tröttröt, dingdong.« Ein kleines Pappmodell zu sehen vom eigenen Glück: Das ist manchmal schon das ganze Glück.
So funktionieren auch die Schaufenster von diesen Bausparkassenbüros in der Innenstadt: Da sind Häuschen zu sehen mit Kaminchen und Fensterchen und Briefkästlein. Sie sehen meistens aus, als seien sie von Schlümpfen im Auftrag des gallischen Dorfes nach Plänen von Friedensreich Hundertwasser entworfen worden. Es müsste einem im Grunde übel werden. Aber trotzdem machen sie glücklich.
Pia und ich torkeln wie besoffen von Zukunft von
dannen und singen laut »Our house …« Die Leute drehen sich nach uns um. Die Band übrigens, die Unser-Haus-Band, heißt »Madness«, stammt aus den achtziger Jahren, und es mag zum Augenblick passen, dass sie auf Deutsch »Wahnsinn« heißt.
Zwei Wochen später sind wir wieder nüchtern und haben einen schlimmen Kater vom Wahnsinn. Wir wissen jetzt, dass wir unser Leben ändern müssen, um in das neue Haus zu passen. Und die Gräuliche zeigt sich als unerbittliche Feldherrin der Ästhetik, die alle Versuche unsererseits, die Ästhetik gegen so etwas wie Lebenspraxis einzutauschen, mit Erstschlagwaffen zurückbombt ins Reich des Banalen.
Es gibt im Architektenentwurf zum Beispiel einen kleinen Rückzugsraum unter dem spitzen Dach. Ganz oben und ganz hinten, am Ende des Spielflurs, der die Kinderzimmer erschließt. Dort, im Flur, sind auch die Bücher. Sehr wichtig. »Dieser Dings, Rückzugsraum«, sage ich, »ist wie geschaffen für mich und meinen Computer. Und zum Bücherlesen natürlich. Der perfekte Platz für mich.«
»Wieso für dich? Wieso für deinen Computer?«, fragt Pia spitz.
Die Gräuliche sagt: »Wie dem auch sei. Diesen Raum erreichen Sie über eine kleine Leitertreppe.«
Pia sagt: »Schön.« Ich frage mich aber, misstrauisch gestimmt, was eine Leitertreppe sein soll. Ich kenne Treppen: die Spanische Treppe in Rom zum Beispiel
oder das Treppenhaus in der Ismaninger Straße 92. Und ich kenne Leitern: die Strickleiter, die Hühnerleiter, die Feuerwehrleiter. »Was soll das sein, eine Treppenleiter?«, frage ich die Gräuliche. »Eine Leitertreppe«, korrigiert sie mich sanft, »ist eine sehr steile Treppe, fast so steil wie eine Leiter.«
»Also
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