Meine Frau will einen Garten
wäre.
»Julia«, sage ich und gucke in den Rückspiegel, um meine Tochter anzuschauen, die hinten im Auto sitzt und Nintendo spielt, »Julia, du könntest zum Beispiel eine rotweißkarierte Tischdecke sein.« Wir fahren auf der Autobahn und spielen das Ikea-Spiel, weil wir zu Ikea fahren. Aber Julia ist mäßig interessiert. Sie wollte nur mit, weil sie es erwachsen findet, am Samstag zu Ikea zu fahren. Das finde ich allerdings auch. Ikea gehört zu meiner jugendlichen Reifezeit, ein magischer Ort an der Schwelle zur Erwachsenenwelt. Dieses Möbelhaus, eine gelbblaue Kiste auf der Wiese, umgeben von einem monströsen Parkplatz und beseelt von Wohnmenschen auf der Suche nach dem richtigen Regal oder einer passenden Topfpflanze. Das war damals der Gipfel meines ersten Erwachsenen-Gefühls. Dieses Gefühl hat einen Namen: Ivar.
Ivar ist ein Regal. Nicht irgendein Regal. Es ist die Mutter aller Regale. Und dabei so simpel. Fichte natur. Leiter, Brett, Leiter, Brett. Ivar ist das erste Möbel, das ich mir in meinem Eltern-Reihenhaus selbst gekauft habe. Für mein sogenanntes Jugendzimmer und von meinem eigenen Geld. Ich schätze, ich war damals
vierzehn, fünfzehn Jahre alt. Es gab eigentlich keinen Grund, mir ein Regal zu kaufen. Vierzehn- bis Fünfzehnjährige sind nicht gerade wild darauf, Ordnung und Regalmeter in ihr abenteuerliches Leben zu bringen. Aber Ivar war meine Art, gegen das Mobiliar zu Hause zu protestieren.
Nicht, dass ich Tapeten in Beigebraun mit Wabenmuster und T chibo-Tischsets vor einer Eiche-Schrankwand als menschenunwürdigen Gulag empfunden hätte. Aber andere, mondänere Familien hatten Ikea-Sideboards und lustige Rollos. In solchen Familien wurde Jazz gehört und Motorrad gefahren und Helmut Schmidt gewählt.
In meiner Familie lag allerhöchstens an Sylvester Abba auf dem Dual-Plattenspieler, Motorräder wurden als veloziferischer Wahnsinn abgelehnt, und Helmut Schmidt, fand mein Vater, sei im Grunde in der falschen Partei. Ivar schien für mich auf der helleren Seite des Mondes zu stehen. Ivar in Eching: Von Niederbayern aus gesehen war das Schweden.
Das war genau das, was ich brauchte: Ivar, die Protestmaschine.
»Julia, was meinst du, was wäre ich, wenn ich ein Ikea-Möbel wäre? Ein Regal vielleicht, na?«
Julia guckt konzentriert auf das Nintendo, wo Indiana Jones gerade mit menschenfressenden Spinnen zu tun hat. Julia hat andere Probleme.
»Nö. Wieso?«
»Nur mal angenommen, ich wäre von Ikea, wäre ich
dann eher ein Tisch, ein Regal oder eine Zimmerpalme, was meinst du?«
Achselzucken. Dezentes Genervtsein einer Zehnjährigen. »Du bist doch Papa.« Indiana hat noch viel zu tun.
»Pia, hilf mir.« Ich werfe einen Blick auf Pia, die aus dem Fenster schaut. Dezentes Genervtsein auch hier.
Pia kommt mir nicht zu Hilfe, und Anton und Max sind nicht da. Sie sind auf einem Kindergeburtstag. Anton ist eingeladen, und Max, der Radaubruder, hat sich spontan dazu eingeladen. Er ist so der Typ, der findet, dass eine Party ohne ihn keine richtige Party ist. Manchmal kann ich kaum glauben, dass er mein Sohn ist. Später wird er vielleicht mal Talkmaster oder FDP-Vorsitzender.
An der Tür beim Anton-Abgeben flennt er die Geburtstagsmama so unverschämt an, dass sie nicht anders kann. Sie sagt: »Der Kleine kann natürlich auch bleiben, wenn er möchte.«
Sofort stellt Max das Geheul ein und beginnt damit, die Geschenke des Geburtstagskindes auszupacken. Ich weiß nicht, ob mir die Geburtstagsmama noch einen langen Blick zuwirft. Ich spurte so schnell weg, wie ich kann. Max-freie Vormittage gibt es nicht immer gratis und unverhofft. Die Geburtstagsmama, denke ich während der Flucht, wird wohl bald den Verdacht haben, der kleine Max sei in Wahrheit eine kleine Höllenmaschine. Aber das soll sie selbst rausfinden. Aus gutem Grund bin ich gut versichert, seit Max in unserem Leben ist.
»Ich helfe dir nicht«, sagt Pia. »Ich mag das Ikea-Spiel nicht.«
»Du magst ja auch Ikea nicht«, sage ich.
»Das stimmt nicht. Ikea ist die Sehschule der Nation. Manche Leute würden nur Hässliches kaufen, wenn es Ikea nicht gäbe. Ich danke Gott für Ikea. Es ist wunderbar. Es hilft den Menschen.«
»Du meinst: Es hilft Leuten wie mir.« Manchmal finde ich Pia zynisch. Das macht mich aggressiv.
Julia fragt: »Streitet ihr? Okay, Papa, du wärst ein Rotweinglas. Eines von Ikea.«
Sie verblüfft mich. Meine kleine Tochter ist manchmal bis zu einem Grad fantasiearm, den ich geradezu aufreizend
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