Meine Frau will einen Garten
finde. Dann plötzlich kommt sie mit einem Satz rüber, der brüllend komisch wäre, wenn er nicht so einen doppeldeutig-bösen Hintersinn hätte. Sie kommt ganz nach Pia. Julia streicht sich eine Strähne ihrer blonden Haare aus dem Gesicht. Die süße Kleine: Praktisch seit zehn Jahren, also seit ihrer Geburt, weigert sie sich mit aller Macht, zum Friseur zu gehen. Sie will Haare wie Rapunzel. Oder wahlweise wie Barbie.
Ich gucke meine Frau an. Ihre Haare sind so kurz wie bei Jean Seberg in »Außer Atem« mit Jean-Paul Belmondo. Finde ich jedenfalls. Pia findet: »Kurze Haare sind praktisch.« Ob Julias Eid, sich niemals und unter keinen Umständen die Haare kürzen zu lassen, so etwas wie ihr Ivar ist?
»Julia«, sage ich, »du bist Ivar, das Regal.« Julia sagt: »Ich bin Julia, deine Tochter.«
Pia grinst. Dann sagt sie: »Du weißt genau, was ich meine. Ich finde, Ikea ist nicht der Höhepunkt der Gestaltkunst, aber sehr okay. Wirklich, Ikea ist okay, billig, sieht meistens passabel aus. Und Billy zum Beispiel, Billy gehört für mich zu den bedeutendsten Kunstwerken der Moderne. Aber muss das Geschirrtuch wirklich Admette heißen? Die Gardine Wilma? Das ist albern.«
»Das ist doch der Witz«, sage ich. »Weißt du, dass der Ikea-Katalog in einer Auflage von zweihundert Millionen gedruckt wird? Dass es Menschen gibt, die diesen Katalog so sehnsüchtig erwarten wie den Frühling oder einen verschollenen Liebesbrief? Das geht doch nicht mit einer Gardine. Mit Wilma schon.«
»Mein Gott«, sagt Pia, »ist ja gut. Was du nur immer hast, sei nicht so empfindlich. Von allen niederbayerischen Männern dieser Welt habe ich mir den einzigen empfindsamen ausgesucht.«
»So. Du findest Niederbayern nicht gut? Und du fährst nicht gern zu Ikea, oder?«
»Doch, nur nicht am Samstag. Am Samstag fahre ich nicht gern zu Ikea, weil dann Millionen von Familien auch zu Ikea fahren und im Auto das Ikea-Spiel spielen. Was wohl Barack wäre? Ein Federholzrahmen? Und Obama ist dann ein Sofakissen?«
Ich sage: »Ich mag das. Millionen von Familien, die mir das Gefühl geben, dass es okay ist, eine Familie zu sein.«
Pia: »Du findest also eine Familie nicht normal?«
Julia sagt schnell: »Und du, Mama, du wärst ein Teelicht.«
Hackebeil, denke ich, Pia wäre ein Hackebeil.
Ich glaube, Ikea hat das mit den Namen erfunden: Billy, Ivar und ihre Freunde aus dem Hochregallager gehören seit Jahrzehnten zum deutsch-schwedischen Nichtangriffspakt. Ohne Ikea wäre Deutschland ärmer. Ja, stimmt, denke ich, bei Ikea fühle ich mich sicher, und in den exaltierten Design-Wohn-Läden, die Pia mag, fühle ich mich unsicher. Deshalb stelle ich mich gerne am Samstag in den Stau vor Eching oder Ottobrunn: Dort fühle ich mich einfach sicher vor Stühlen und Sofas, auf denen man zwar nicht sitzen, wofür man aber ein kleines Vermögen ausgeben kann. Und dann heißen die nur »Chair one« oder »LC 3«. Bei Ikea gibt es 10 000 verschiedene Produkte - und alle haben einen richtigen Namen.
Wäre ich geschieden und kinderlos, würde ich mich auch am Samstag in den Ikea-Family-Stau stellen: dann aber, um vollendet einsam zu sein. Einsam, unglücklich und ein wenig lebensmüde vielleicht. Ikea muss für Nichtfamilien die schiere Hölle sein. Dort laufen nur Leute rum, die sich zusammen eine Zukunft auf dem Klippan-Sofa vorstellen können. Schön ist das.
Pia hat doch keine Ahnung, denke ich. Die ist mit Bauhausmöbeln aufgewachsen. Mit Freischwingern und Corbu-Liegen und allem. Und mit dem Erbstück aus Kirschholz. Ein Schrank, so groß wie ein Lkw. Sie
weiß nicht, dass manche Menschen ein Leben lang das Tchibo-Tischset-Trauma mit sich herumtragen. Wir vom T chibo-Club sind in Wahrheit Stoiker. Pia ist nur verwöhnt und mit zu viel gutem Geschmack aufgewachsen. Jetzt ist sie ein Designfreak, und ich brauche Ikea, weil ich sonst orientierungslos wäre und nur Hässliches kaufen würde.
Ich kann mich noch genau erinnern, als Pia zum ersten Mal in meine Wohnung gekommen ist, damals, gerade frisch verliebt. Sie sagte: »Mhmm hm. So so.« Und dabei hat sie die Augenbrauen hochgezogen, wie nur sie es kann.
»Du wärst ein Hackebeil«, sage ich zu Pia. Pia sagt nichts. Julia sagt nichts. Dieser Ikea-Trip fängt nicht gut an.
Normalerweise gerate ich immer in Ferienlaune, wenn ich zu Ikea fahre, um Familien normal zu finden, um 500 Teelichter und ein paar weitere überflüssige Steckdosenbatterien zu kaufen. Ikea, das ist Stau, genau wie in
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