Meine Frau will einen Garten
läge ein Fluch auf geraden Steckdosen. Vielleicht ist das ein uralter Aberglaube der Steckdosenanbringer-Innung.
An einer gut sichtbaren Stelle über dem Küchenblock haben wir zwei Lichtschalter und vier Steckdosen in Reihe. Es grenzt an ein mathematisches Wunder, aber der Elektriker schafft es, diese sechs Schalter und Dosen in sieben verschiedenen Höhen zu positionieren.
Das ist noch gar nichts, findet Pia. Sie erinnert mich an den Schiefen Turm von Pisa, an die Tempel der Griechen, die reihenweise eingestürzt seien, weil man damals halt einfach ausprobiert habe, ob sie, je nach statischer Belastung, stehen bleiben oder nicht. Oft sei dann der Fall »oder nicht« eingetreten.
Ich könnte also froh sein, sofern unser Haus wenigstens stehen bleibt. Dennoch werde ich zu diesem Zeitpunkt ein wenig manisch. Ich fotografiere mit dem Handy alles, was mir irgendwie schief, falsch oder kaputt vorkommt. Ich sammle mit dem Eifer des Jägers schlimme Dinge, die ich dann mindern will. Ich will Tausende und Abertausende Euros mindern. Ich bin ganz scharf auf schiefe Wände, wacklige Schalter und die falsche Farbe, die falsche Badezimmerarmatur und
falsche Fenstergriffe. Ich werde immer kleinlicher, je fertiger das Haus wird.
Ich mache aber auch Fotos, die mir gut gefallen. Es beginnt die Leidenszeit meiner Kollegen in der Redaktion, denen ich jeden Tag neue Handy-Fotos von schönen Ansichten zeige. Pia sagt mir, dass ich der einzige Mensch sei, den sie kenne, der keine Bilder von seinen Kindern bei sich habe, aber jederzeit einen zweistündigen Handy-Bilder-Vortrag über sein Haus halten könne.
Abends zeige ich dann Pia trotzdem meine Mängelbeute. Pia sagt: »Wo? Ich sehe nichts.«
»Na da, der Riss.«
»Welcher Riss. Da ist nichts.«
»Das liegt nur am Handy. Das fotografiert so schlecht. Aber da geht ein Riss durch unser Haus, ein Riss wie die San-Andreas-Verwerfung, die Los Angeles bedroht. Ich schwöre es dir.« Das will Pia sehen. Wir fahren raus zum Grundstück. Den Weg kann ich inzwischen im Schlaf. Ich weiß, dass ich bei Apotheke Nummer 3 rechts und bei Baumarkt Nummer 7 links abbiegen muss. Ich zeige Pia den Riss zwischen Schlafzimmer und Spielflur vor den Kinderzimmern. »Da!«
»Wo?«
»Da. Stell dich nicht so an. Hier und hier und hier.«
»Du meinst diesen Haarriss?«
»Das ist ganz gefährlich. Das ist ja erst der Anfang. Wahrscheinlich setzt sich gerade das Fundament, oder die Wände sind ungleich. Oder es ist die Erde.«
»Ein Beben?« Pia lacht.
»Sehr komisch. Dann kümmere ich mich eben allein um die Baumängel.«
Pia findet, dass es keine Baumängel gibt in unserem Haus und dass wir Schwein gehabt haben. Sie findet mich kleinlich. Ich finde sie großzügig auf meine Kosten. Vielleicht ist es so, dass, wenn man sich schon für den Rest seines Lebens verschuldet, man dann etwas überirdisch Perfektes erwartet. Mindestens. Pia hat gut reden. Ihre Haushälfte hat sie bar bezahlt, und meine Haushälfte gehört der Bank. Natürlich will ich etwas überirdisch Perfektes.
Das ist auch ein Problem von allem, was neu ist. Neue Autos, neue Anzüge und neue Häuser müssen perfekt sein. Schon deshalb mag ich alte Häuser. Bei alten Häusern schaut man über alles hinweg, da können die Fensterscheiben noch so schmutzig, die Farbe noch so abgeblättert und die Dachrinne noch so schief sein. Das nennt man Charme und Patina. Beides hat die Bauhausbewegung vor achtzig Jahren in Deutschland verboten. Die Häuser mussten jetzt aussehen, als ob sie von einer Maschine ganz präzise hergestellt worden wären. Wie etwas aus der Stanzmaschine. Stuck, Erker, Fenstersprossen wurden polizeilich verfolgt. Alles sollte rein sein, rein und neu und weiß. Das steht in Pias Büchern. Mich wundert, dass man sich das hat gefallen lassen. Wenn jetzt überall plötzlich neue Schlösser gebaut werden, in Berlin und Potsdam, Braunschweig und Hannover, dann ist das die späte Rache des Sprossenfensters.
Wir haben natürlich auch keine Sprossenfenster. Pia würde sich entleiben vor Scham.
»Häuser sind nie perfekt«, sagt Pia trotzdem. Ihre Pragmatik einerseits und ihre Dogmatik andererseits können einen zur Verzweiflung bringen.
Ich dokumentiere aber weiterhin Baumängel, die keine sind. Mit noch größerem Eifer. Dann rufe ich immer Wumme an, zeige ihm den Mangel, und Wumme sagt: »Ist halt so.« Die Ist-halt-so-Zeit ist die Zeit kurz vor der Vollendung.
Eines Abends ruft mich Pia zum Fernseher. Der Ton ist auf
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