Meine Frau will einen Garten
hört sich alles eher nach Einfamilienhäusern oder Doppelhaushälften an als nach überraschenden Besuchen
des Vermieters und Zwangslüftungsklauseln im Mietvertrag.
Es ist schwer, sich einer Argumentation zu entziehen, die im Grunde ein allgemein gültiger Lebenstraum ist. Die gängige Währung einer Utopie.
Ich frage Pia, ob sie schon wach ist. »Hmmm?« »Pia, wen würdest du nehmen, falls du nicht mit mir verheiratet wärst. Erstens: den Mann, der dich zum Lachen bringt? Zweitens: den Mann, der dich auf Händen trägt? Drittens: den Mann mit dem Bausparvertrag?« Pia schläft schon wieder. Wie macht sie das?
Ich wecke sie nicht erneut, weil ich die Antwort kenne. Sie würde sagen, dass ich Nummer 1 und 2 perfekt repräsentiere, während sie Nummer 3 nur für eine kleine Zusatzversicherung ihrerseits hält, um die ich mir mal gar keine Gedanken machen solle.
Der Grund, warum ich als bausparloser Sonderling nicht vom Eigenheim träume, liegt in meiner Biografie. Sie ist schuld, dass ich eine gemietete Altbauwohnung mit Stuck und knarzendem Parkett für den Inbegriff eines großbürgerlichen Lebensstils halte. Denn ich habe meine Kindheit im Reihenhaus noch sehr gut in Erinnerung. Die war schön, keine Frage, behütet. Aber.
Aber.
Tatsache ist: Ich habe meiner Familie keine Wohnung, sondern mir eine Biografie abseits des Reihenhauses gemietet. Weil ich so weit wie möglich über das Reihenhaus hinauswollte. Aber immer schon
wusste, dass ich hinter diesem Traum weit zurückbleiben würde.
Immer wenn ich eines unserer einhundert Jahre alten Fenster aufmache, die zur Ismaninger Straße rausgehen und auf den Englischen Garten schauen lassen, passiert Folgendes:
Erstens klemmt jedes dieser total verzogenen, undichten und verschrammten Holzfenster, von denen unentwegt die Farbe bröselt, und während sie sich nur unter Ächzen und Quietschen aufstemmen lassen, wird mir klar, warum unsere Heizkosten so surreal sind. Einmal hat der Wind eine Kerze am Fenster ausgepustet, obwohl das Fenster geschlossen war.
Zweitens wird es sofort so laut in der Wohnung, dass man auch das infernalische Nintendo-Geplärr aus den beiden Kinderzimmern nicht mehr hören kann. Denn die Ismaninger Straße liegt zwar in Sichtweite zu den Maximiliansanlagen im Englischen Garten, aber es ist trotzdem die Ismaninger Straße, also eine der Hauptaufmarschrouten für die Münchenpendler, die sich für besonders schlau halten und daher über die Ismaninger Straße nach München reindrücken statt über die Stadtautobahn. Münchenpendler halten sich in der Regel für besonders schlau. Ich vermute daher, dass die Autobahn leer ist, während sich unter unseren Fenstern Megastaus bilden. An jedem Morgen und an jedem Abend. So viel zu meiner vor Jahren entwickelten Theorie, dass, wer am Englischen Garten wohnt, auch mit Kindern keinen Garten benötigt. Im Prinzip wäre
das richtig, es gilt aber nur dann, wenn kein Megastau zwischen Wohnung und Park einen am Betreten des Parks hindern würde.
Drittens aber, und das ist das eigentliche Wunder, fühle ich mich beim Öffnen der Fenster allem rationalen Verdruss zuwider in die Zeit zurückversetzt, aus der unser Wohnhaus stammt. Vor einhundert Jahren wohnten hier Leute, die perfekte, schöne Fenster öffneten, während unten an der Ismaninger Straße eine Kutsche vorbeifuhr und vielleicht, aber höchstens, noch eines dieser neumodischen Hochräder. Das Kindermädchen, das ein winziges Zimmer nach hinten raus hatte, wurde mit den Kindern in den Englischen Garten zum Promenieren geschickt, während die Köchin, auch nach hinten raus, das Mittagessen für die Herrschaft vorbereitete. Das war vor der Erfindung des Feinstaubs und der Fernpendler.
Jetzt ist es so, dass wir hauptsächlich in der ruhigen Küche nach hinten raus wohnen, während Pia und ich im früheren Kindermädchenzimmer neben Kammer und Klo schlafen. Julia, Anton und Max aber, die nach vorne raus schlafen, werden später mal nicht einschlafen können, wenn sie nicht das dauernde Gebrumm des Straßenverkehrs hören, in das sich alle zehn Minuten das Kreischen der Tram mischt.
Und das alles nur, weil ich eine altehrwürdige Altbauwohnung in einer großen Stadt dringend zum Aufpolieren meiner Provinzbiografie benötige.
Das kann ich Pia nicht erklären. Als Kind ist sie vom
Chauffeur zur Schule gefahren worden. Das Haus, in dem sie aufwuchs, ist groß, alt und in einer Art Park gelegen. Als sie sich mal ein Pony wünschte, wurde in diesem
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