Meine Frau will einen Garten
von unserem Küchenfußboden halten werden? Wahrscheinlich werden sie unter dem Müsli-Sediment noch allerlei Wissenswertes über die Ernährungsgewohnheiten unserer Zivilisation entdecken.
Anton fragt: »Ist Papa krank?« Dann geht er, ohne die Antwort abzuwarten, in sein Zimmer, das er mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Max teilt. Julia, die große Neunjährige, ist schon längst wach und angezogen. Sie kramt im Zimmer nebenan in ihrem Schulranzen herum, den sie am Abend vorher gepackt hat. Sie will wissen, ob auch wirklich alles an Ort und Stelle ist. Sie ist sehr genau. Anton verkündet im Kinderzimmerreich die neuesten Familiennachrichten: »Papa ist wieder krank.« Das »Wieder« höre ich. Es ist, als würden im Kinderzimmer die neuesten Bulletins über meinen
Gesundheitszustand kursieren. Schnell ziehe ich mich an und gehe zurück in die Küche. Pia macht den Kindern schon die Brotzeiten für Schule und Kindergarten zurecht. Wie macht sie das nur? Sie ist kein Alien. Sie ist eine Maschine.
Müde sage ich: »Gut, ich gehe in die Diagnoseklinik, aber ich bin nicht krank.«
»Das weiß ich«, sagt Pia mit einer Zärtlichkeit, in die sich etwas Ungeduldiges mischt, »du bist nicht krank, keine Angst, du bist nicht krank. Und verschieb bitte nicht wieder den Termin.«
»Mach ich nicht.«
»So wie letztes Mal«, mahnt Pia.
»Letztes Mal habe ich die Tram verpasst.«
»Oder wie vorletztes Mal.«
»Vorletztes Mal hat es geregnet.«
Pia sagt: »Heute gehst du endlich hin. Alles wird gut. Keine Angst.«
Ich habe keine Angst, ich gehe nur nicht gern zu den Ärzten. Das unterscheidet mich von professionellen Hypochondern, die sich im Wartezimmer häuslich ausbreiten. Ich gehe deshalb nicht gern zu den Ärzten, weil ich grundsätzlich glaube, dass ich etwas habe, wovon ich aber nicht will, dass die Ärzte es auch wissen, weil sie mir dann sagen würden, dass ich etwas habe, was ich nicht haben und nicht wissen will. Komplizierte Sache.
Pia sieht das so. »Du bist jetzt 45. Also ist ein Checkup sinnvoll.« Pia ist das gesündeste Alien, das ich kenne. Oder doch eine Maschine.
In der Diagnoseklinik in der Augustenstraße gibt es einen Empfangstresen, der geschwungen ist wie die Bar in einer Lounge. »Auskunft« ist dort zu lesen, auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Russisch. Die Mädchen hinter der Bar sehen aus, als ob sie »Germany’s Next Health Care Topmodel« jederzeit für sich entscheiden könnten. Ich fühle mich auf Anhieb krank, schlecht ernährt und unsportlich. Dann werde ich untersucht.
Danach gibt es Gespräche mit Ärzten, die oft Sätze sagen, die mit »Sie sollten« anfangen, mit »Sie müssen«, »Sie dürfen nicht« oder mit »Sie haben«. Solche Sätze finde ich nicht gut, vor allem nicht die Sie-haben-Sätze.
Besser gefällt mir der »Body Control Analyzer«. Man stellt sich drauf wie auf eine Waage. Dann spuckt der Analyzer eine lange weiße Papierschleife mit Zahlen aus. Das sind meine persönlichen Koordinaten: Blutdruck, Gewicht, Fettwerte, Puls. Demnach bin ich alles in allem noch im Normbereich. Das reicht eigentlich, alles in Ordnung. »Na«, wendet der Arzt ein, »der Bodymassindex geht gerade noch in Ordnung.« Ärzte in einer Diagnoseklinik leben nicht davon, einen in Sicherheit zu wiegen.
Meine Schuhe darf ich jetzt wieder anziehen. Es sind die guten braunen Schuhe. Sie sollen mir helfen, möglichst gesund auszusehen.
Auf dem Analyzer-Zettel steht, dass heute Dienstag ist, Dienstag der 7. Oktober, 11 Uhr 37 und 34 Sekunden.
Der Computer ist sehr penibel und erinnert mich an meine Tochter, die auch sehr genau ist. Genau wie Pia. Gegen zwölf Uhr bin ich wieder im Wartezimmer, High Noon. Jetzt ist die Ultraschalluntersuchung dran. Der Internist trägt einen weißen Kittel und starrt auf einen Bildschirm, während er meinen Oberkörper mit einer glitschigen Sonde in Handygröße traktiert. Erst murmelt er noch beruhigend vor sich hin, sagt zum Beispiel »völlig unauffällig« oder »hmm, gut, gut, hmm«. Er erinnert mich, wie er so dasitzt und angespannt den Monitor beobachtet, an eine Filmszene. An den Diensthabenden in einem U-Boot, der am Sonar sitzt, um Feindliches zu orten. Dinge, die nicht da sein sollten, wo sie sind.
Nun passiert es. Der Mann am Sonar stockt, er begutachtet den Schirm genauer, dreht an den Reglern und sagt: »Da ist was.«
Für mich klingt das wie: »Feindliches U-Boot geortet.«
Deshalb halte ich den Atem an. Auf dem Sonar müsste man das sehen
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