Meine Freundin, der Guru und ich
beleidigt. Ganz offenkundig tat ich ihnen einfach nur leid. In ihren Augen war ich jetzt auf einer Ebene mit den Leprakranken angelangt.
Liz hatte jedoch kein Mitleid mit mir. Soviel war klar. Ich war mal wieder Empfänger eines ihrer gefürchteten Blicke. Aber diesmal war es nicht einer ihrer Blicke, sondern der Blick. Jetzt wurde es ernst, denn im Klartext besagte dieser Blick: »Das war's.« Ich hatte das Ende der Fahnenstange erreicht. Sie hatte die Schnauze voll von mir.
»Kommt, Fee, Caz, wir gehen.«
Sie nahmen ihre gekochten Eier und setzten sich an einen anderen Tisch.
Noch am selben Nachmittag schleppte Liz ihre Matratze und ihren Rucksack zu Fee und Caz ins Zimmer, wobei sie sich einer komplexen, betont heimlichen Vorgehensweise befleißigte.
Das
war's dann
wohl
Liebe Mum, lieber Dad!
Tut mir leid, daß ich schon so lange nicht mehr geschrieben habe, aber ich hatte eine wahnsinnig ausgefüllte Zeit. Ich habe den Himalaja verlassen und bin jetzt in Pushkar – ein schön und ruhig gelegenes Dorf an einem See, mitten in der Wüste von Rajasthan – dem wahrscheinlich abwechslungsreichsten Bundesstaat Indiens, berühmt für die farbenfrohen Saris, die die Frauen dort tragen, und für die genauso verführerischen Gewürze, die dort auf den überfüllten Märkten verkauft werden. Ich hatte eine recht entspannte Zeit bisher, auch wenn ich mich mit Liz in letzter Zeit nicht so gut verstanden habe. Momentan sieht es so aus, also ob wir uns nicht riechen können, aber ich denke, das gibt sich wieder.
Liebe Grüße,
Dave
Seit Liz abtrünnig geworden war, waren ein paar Tage vergangen. Ich saß im Innenhof des Hotels und nippte an meinem Nachmittagstee – einem von vielen Nachmittagstees –, als ich von der Straße her das Geräusch von quietschenden Reifen hörte. In Indien schien es nicht viele Autos zu geben, und in Pushkar noch viel weniger – geschweige denn welche, die derart stark hätten beschleunigen können, um dann quietschend zum Stehen zu kommen –, so daß ich von meinem Buch aufsah, um zu sehen, was los war.
Im Laufschritt erschien ein dicker Mann mit Schnurrbart, Jackett und Krawatte im Hof. Er wirkte ziemlich gestreßt und sah uns einen nach dem anderen prüfend an. Als sein Blick auf das Häufchen Elend in der Ecke fiel, das früher Ranj gewesen war, heulte er los.
Sein Gejaule lockte drei weitere Personen in den Innenhof, darunter eine Frau im Sari. Sie warf einen Blick auf Ranj, ließ einen Schrei fahren und fiel in Ohnmacht. Die anderen beiden waren zwei junge Typen in Jeans und Designer-T-Shirts.
»Ey, was geht 'nn hier für 'ne Scheiße ab, Alter«, sagte der eine. »Du blöde Schwuchtel!«
Tiefster Putney-Akzent, wie ich sogleich erkannte. Jede Wette, daß das sein Bruder war. Er packte Ranj am Arm, aber Ranj brach unter seinem eigenen Gewicht zusammen, weshalb der zweite Typ seinen anderen Arm nahm. Gemeinsam führten sie ihn ab.
Ranj schien während der gesamten Episode nicht besonders wach geworden zu sein, bis ich seine Stimme von draußen hereinwehen hörte. »Warte … Warte … WARTE! WART DOCH MAL!«
Kurz darauf erschien er auf zittrigen Beinen wieder im Hof und kam auf mich zu.
»Ich möchte, daß du das behältst«, sagte er, drückte mir seine Chillum in die Hand und schloß meine Finger um sie.
»Danke, Alter«, sagte ich.
Er warf mir einen letzten Mach-dir-keine-Sorgen-ich-muß-nur-rasch-zum-Galgen-Blick zu und wankte in die Arme seines wartenden Bruders.
Die beiden verschwanden, und der Motor des Wagens wurde erst angelassen, dann abgewürgt. Eine Tür knallte, und ich konnte hören, wie sie sich stritten. Alles, was ich verstand, war: »Das ist er doch nicht wert, das ist er doch nicht wert.«
Einen Moment lang herrschte Ruhe, dann tauchte der größere der beiden Brüder erneut im Innenhof auf, marschierte auf mich zu, packte mich am Kragen, zerrte mich aus meinem Stuhl und knallte mich gegen die Wand.
»Du bist also sein Dealer?« schrie er. »ANTWORTE! HAST DU IHM DAS ANGETAN?« »Nein, Mann, i-ich hab nie in meinem Leben gedealt«, stammelte ich, überzeugt, nun gleich umgebracht zu werden.
»HAST DU IHM DIESES SCHEISS-ZEUG VERKAUFT? JA ODER NEIN?«
»Ha-ha-hab ich nicht. I-i-ich schwör's bei Gott.«
»VERDAMMTE SCHEISSE. UMBRINGEN SOLLTE ICH DICH!«
»Sie sind bei mir am Falschen. Ich schwör's bei allem, was mir heilig ist. Beim Leben meiner Mutter.«
Er ließ mich los und knurrte.
»Abschaum. Du bist der letzte Abschaum.«
Dann
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