Meine Freundin, der Guru und ich
Wasserbüffeln und Reisbauern als gelegentlichen Farbtupfern aufgelockert. Die Szenerie war in ein sanftes Licht getaucht, und es herrschte eine wunderbar friedliche Atmosphäre. Allenthalben Menschen, die sich nach getaner Arbeit auf den Nachhauseweg machten. Wie ein wunderschönes und unendlich vielfältiges Puzzle zogen Reisfelder an uns vorbei, während der Zug gemächlich klappernd Dorf um Dorf durchfuhr und Kinder uns zuwinkten.
Sam hatte einen Walkman mit Anschluß für zwei Kopfhörer und legte Pink Floyds Delicate Sound of Thunder ein, gerade als die Sonne unterzugehen begann. Ich hatte, seit ich aus England weggegangen war, keine Musik mehr gehört, und mit dieser Aussicht und dieser Musik war das Ganze wirklich ein äußerst erhebendes Erlebnis. Solange die Batterien hielten, hatte ich das Gefühl, in der Essenz des Lebens zu baden.
Wenn ihr gesehen hättet, was ich gesehen habe, würdet ihr verstehen, warum ich sage, daß Gott die indische Landschaft mit einem Pink-Floyd-Soundtrack im Ohr entworfen hat. Hundert Pro, das war so. Als der Schöpfer diese Reisfelder zusammenstellte, hörte er gerade »Comfortably Numb«. Jede Wette.
Allen reicht's
An unserem ersten Morgen in Bangalore stand ich bereits sehr zeitig zum Frühstück auf, das ich so langsam wie möglich zu mir nehmen wollte, um sicherzugehen, daß ich im Speisesaal war, wenn Sam und Claire runterkamen. Das würde mir Gelegenheit geben, beiläufig zu fragen, was sie denn heute so vorhatten – und mit ein bißchen Glück konnte ich dann den Tag mit ihnen verbringen, ohne allzu versessen zu wirken.
Ströme von Reisenden kamen und gingen, während ich da saß und über Omelett und Tee auf die zwei Mädels wartete.
Es ging schon stark auf Mittag zu, als ich endlich aufgab. Alle hatten das Hotel verlassen, folglich stellte ich mich auf einen langweiligen Tag ganz allein in Bangalore ein. Auf meinem Weg nach draußen lief ich den beiden dann direkt in die Arme.
»Wo wart ihr denn?« fragte ich, leider etwas zu erwartungsvoll.
»Och, wir sind früh aufgestanden und zum Bahnhof gegangen«, versetzte Claire.
»Ach so«, erwiderte ich und sah alle meine Felle davonschwimmen. »Ihr habt Fahrkarten gekauft?«
»Ja«, bestätigte Sam. »Wir wollten eigentlich nicht allzulange hierbleiben.«
Ich wartete darauf, daß sie mir sagten, wo sie hinzufahren gedachten, aber keine von beiden sagte was. Eine unangenehme Pause entstand.
Sam zwinkerte peinlich berührt und fragte schließlich beinahe mitleidig: »Und was machst du heute so?«
»Ich … schau mir mal ein bißchen die Stadt an.«
Ich deutete über die Schulter auf meinen Tagesrucksack, so als ob das meine Absicht unterstreichen würde.
»Ah ja.«
Erneute Pause.
»Tschüs«, sagte ich dann und machte einen Abgang, ohne auch nur ihre Antwort abzuwarten. Während ich sie da so stehenließ und einfach fortging, spürte ich ihre schuldbewußten Blicke in meinem Rücken.
Als ich auf der Straße war, wußte ich nicht, ob ich nach rechts oder links gehen sollte, aber ich wollte unbedingt außer Sichtweite sein, also folgte ich meinem Instinkt und verschwand blindlings in der Menschenmenge.
Mit einem Male wollte ich nicht mehr in Indien sein, nicht in Bangalore und nirgendwo in Sam und Claires Nähe. Ich hatte keine Lust, irgendwas zu sehen, irgendwas zu kaufen oder irgendwas zu essen. Ich wollte zu Hause sein. Ich wollte fernsehen. Ich wollte Toastbrot mit Marmite, Freunde, ein Sofa, Das Spiel des Tages, grünes Gras, Pubs, Frost und ein Bett mit Daunendecke.
Lange Zeit lief ich durch die Gegend, ohne überhaupt zu wissen, wohin ich ging. Insgeheim hielt ich nach einem Ort Ausschau, an dem ich mich vor den Menschenmassen verstecken und vergessen konnte, wie weit weg ich von zu Hause war. Ansonsten wurde mein Kopf von dem Gedanken beherrscht, daß es immer noch einen Monat hin war bis zu meinem Rückflug. Einen ganzen Monat.
Ich war schockiert, als mir klar wurde, wie sehr mein Glück von ein paar Leuten abhängig gewesen war, die ich kaum kannte. Es war ja nicht so, daß ich sie nie mehr hätte wiedersehen können. Nicht mal so, daß ich nicht wußte, wo sie hinfuhren. Sie waren nach Kerala unterwegs, und jedermann, der dorthin fuhr, machte zuerst einmal in Cochin halt. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich wahrscheinlich sogar noch einen Platz im selben Zug wie sie bekommen. Aber sie hatten ja recht deutlich zu verstehen gegeben, daß sie mich loswerden wollten. Was bedeutete, daß ich, wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher