Meine Freundin, der Guru und ich
nicht derjenige, der's nicht mal geschafft hat, nach Tibet reinzukommen.«
»Wenn du glaubst, daß ich dir die Story abkaufe, dann bist du echt ein Trottel.«
»Fick dich.«
»Fick dich selbst.«
»Fick du dich selbst.«
Die zwei tauschten noch eine Zeitlang Beleidigungen aus, wobei unser Freund in der rosa Hose irgendwann ins Schweizerdeutsche verfiel, was eine verdammt gute Sprache ist, um Leute zu beleidigen. Sie waren kurz davor, eine Schlägerei anzufangen, als einer der Aussies Garth wegzerrte ihm ein frisches Bier in die Hand drückte und ihm sagte, er solle noch ein bißchen was von dem Acid einwerfen.
Nach fast einer Woche halber Einsamkeit und leichter Langeweile traf ich am Strand zwei junge Engländerinnen, die in Newcastle auf die Uni gingen und hier ihre Sommerferien verbrachten. Die eine von ihnen, Claire, war ein bißchen häßlich, aber ihre Freundin Sam, auweia dicke Eier, war eine richtig scharfe Braut – ohne dabei aber distanziert zu sein. Sie schien echt nicht zu merken, was für eine hammermäßig fitte Frau sie war. Mit ihren kurzen schwarzen Haaren und spindeldürren Armen, ihrem Knutschmund und den funkelnden grünen Augen mußte sie entweder blind sein oder dumm, um sich nicht jedesmal zu verlieben, wenn sie in den Spiegel guckte. Nach den distanzierten Australiern war ich wirklich erleichtert, jemanden zu treffen, der ungefähr so alt war wie ich selbst und mit dem ich mich unterhalten konnte – jemand, mit dem man sich hinsetzen und eine richtige Unterhaltung führen konnte, die sich nicht ausschließlich um den Austausch von Anekdoten über lebensgefährliche Situationen drehte.
Wie sich herausstellte, wohnten sie im nächsten Ferienort, waren aber schon fast vierzehn Tage dort gewesen und standen im Begriff, Richtung Süden nach Kerala zu fahren. Sofort ließ ich einfließen, daß ich zufällig auch gerade dorthin fahren wollte – was nur halb gelogen war. Ich wollte nicht allzusehr wie ein armes Würstchen dastehen und den Eindruck erwecken, daß ich mich um jeden Preis an sie dranhängen wollte. Aber die Wahrheit lautete, daß ich der Vorstellung, noch mal ganz allein eine große Reise machen zu müssen, einfach nicht ins Auge sehen konnte. Sie waren nicht besonders begeistert von der Idee, waren aber damit einverstanden, sich am nächsten Morgen mit mir zu treffen, damit wir uns gemeinsam nach Zugtickets umsehen konnten. Ich war mir nicht sicher, was sie wirklich dachten. Schließlich hatte ich ihnen ja nicht groß Gelegenheit gegeben, mein Angebot abzulehnen. Aber ich war mir einigermaßen sicher, daß ich sie dazu bringen würde, mich zu mögen, wenn ich nur genug Zeit hatte.
Von Goa nach Kerala ist es eine ziemliche Strecke, weshalb wir beschlossen, den Nachtzug nach Bangalore zu nehmen, dort eine Weile zu bleiben und dann weiterzufahren, wenn wir soweit waren.
Unser Zug fuhr am späten Nachmittag am Bahnhof Margao ab und sollte ungefähr um die Mittagszeit des nächsten Tages in Bangalore ankommen. Ich war so erleichtert, daß ich unter dem Schutz anderer Leute reisen konnte, daß ich mich zusammenreißen mußte, damit man mir meine Freude nicht allzu sehr ansah. Sonst würde ich wahrscheinlich schnell ein bißchen als Loser dastehen.
Ich saß mit Sam auf der einen Seite des Abteils, während Claire uns gegenüber am Fenster saß und langsam über ihrem Buch eindöste. Sowie der Zug abfuhr, fingen Sam und ich an zu quatschen, und nach ungefähr einer Stunde entwickelte sich daraus eines dieser Gespräche à la wir-reden-über-unsere-Familie, wo man dann am Schluß immer irgendwelche Traumen erfindet, um sich ein bißchen interessant zu machen. Ich erzählte ihr was von wegen, daß der Mensch, den ich auf der ganzen Welt am meisten liebte, mein am Downsyndrom erkrankter Bruder sei und daß er Gefühlen gegenüber viel empfänglicher sei als alle anderen Menschen, die ich kannte. Sie erzählte von ihrem Freund (langweilig), dann von ihren Eltern und davon, daß sie wohl gerade eine sehr schwierige Phase durchmachten und ihre Mutter möglicherweise eine Affäre mit jemand anderem hatte. Ich nickte und grunzte gelegentlich zustimmend, viel zu benommen vor Lust, um noch irgendwelche vernünftigen Kommentare abliefern zu können. Ich meine, wenn ihre Mutter schon solche Sachen machte …
Nach einer Weile brach die Dämmerung herein, und die Aussicht vom Zug aus wurde unglaublich schön. Endlose Reisfelder erstreckten sich bis zum Horizont, von Kindern,
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