Meine Freundin, der Guru und ich
Dann nehme ich einfach das, was ihr nehmt.«
»Sehr einfallsreich«, versetzte sie – und bestellte irgendwas mit Linsen. War bestimmt Absicht.
Es war ein großer Augenblick, als ich meine erste Kostprobe indischen Essens zu mir nahm. Ich begann vorsichtig mit ein paar Körnern Reis. Schien okay zu sein. Schmeckte nach Reis. Dann ging ich über zu den Linsen, auf denen ich zunächst nur langsam kaute, um zu sehen, ob irgend etwas Komisches passieren würde. Das Essen war schärfer als die meisten anderen Currygerichte, die ich bisher gegessen hatte, ging aber ganz gut runter und schien keine unmittelbaren Gegenreaktionen hervorzurufen.
Wegen meines angespannten Zustandes hatte ich keinen großen Appetit. Trotzdem zwang ich das meiste hinunter, in der Hoffnung, mich dadurch bei Laune zu halten. Zum Nachtisch gab es für jeden von uns eine Malariatablette.
∗∗∗
Auf dem Weg zurück wurden wir kurz vor unserem Hotel wieder von demselben Mädchen angebettelt. Da sie bei Jeremy und mir schon Pech gehabt hatte, suchte sie sich dieses Mal Liz als Opfer aus.
Die frisch gestählte Liz verschwendete nicht viel Zeit und wirbelte bereits nach dem ersten zaghaften Zupfen an ihrem Ärmel herum, packte das Kind an den Schultern und brüllte »NEIN! NIX GELD! GEH HEIM«, wobei sie, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, das arme Ding heftig schüttelte. Das Mädchen besaß ganz offensichtlich mehr Übung im Erkennen von Psychopathen als ich und verdrückte sich unverzüglich.
Siegreich marschierte Liz in Richtung Hotel. Ich konnte ihr an der Nasenspitze ablesen, was in ihrem Kopf vorging. Dave hat das einfach nicht im Griff, dachte sie. Er hat echt Probleme damit. Aber ich – ich komme damit klar. Mir macht das nichts aus.
Einen Moment lang hatte ich den Nachgeschmack der Malariatablette in meinem Hals – wie verbrannter Gummi. Die ganze Sache war einfach von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Man
ist ja schließlich
nicht dazu
verpflichtet
Ich hatte Liz erst ein paar Monate zuvor kennengelernt. Es ging auf Weihnachten zu, und ein paar aus unserem Jahrgang, alle mitten in dem Jahr zwischen Abi und Uni, trafen sich, um ein letztes Mal miteinander einen trinken zu gehen, bevor wir uns in alle Winde verstreuten. James war da (offiziell immer noch mein bester Freund, aber in Wahrheit gingen wir uns schon mindestens seit drei Jahren auf die Nerven). Er brachte Paul mit – und seine neue Freundin, Liz. Was mir ein bißchen unpassend vorkam. Ich meine, man will doch niemand Neuen dabeihaben, wenn man sich ein allerletztes Mal trifft, um rührselig voneinander Abschied zu nehmen. Das hemmt einen völlig.
»Kennt ihr euch?« fragte er und versuchte ungezwungen zu klingen. Dabei wußten wir beide, daß er mir alles über sie erzählt hatte, in allen erschöpfenden Einzelheiten. Gleichzeitig hatte er sich aber bemüht, uns voneinander fernzuhalten. Ich hatte immer vermutet, es läge daran, daß er sich für Liz schämte und dafür, daß sie dem Vergleich mit seinen lächerlichen Beteuerungen ihrer Schönheit nicht standhalten würde. Aber ein Blick genügte, um diese Theorie sogleich zum Einsturz zu bringen. Sie war der Hammer. Und genau so, wie er sie beschrieben hatte. Und ich empfand es schon als Affront, als mir klar wurde, daß James uns einander nicht vorgestellt hatte, weil er sich für mich schämte.
»Ich glaube nicht«, erwiderte ich.
»Liz. – Dave.«
»Hi«, sagte sie und bot mir ihre Wange. (Eine super Haut hatte sie auch.)
»Und hab ich dir die schon vorgestellt?« fragte James, trat einen Schritt zurück und zeigte auf zwei identische Paar braune Lederstiefel, die seine und Pauls Füße zierten.
»Was ist das denn?« fragte ich.
»Trekkingstiefel. Brandneu«, antwortete James. »Wir waren ein letztes Mal groß einkaufen. Schau mal.« Er wuchtete eine riesige Jugendherbergs-Einkaufstasche auf den Tisch, und wir setzten uns alle erst mal hin.
»Rucksack, Tragegürtel mit Geldfach, Anti-Mücken-Stift, Anti-Mücken-Spray, Anti-Mücken-Gel, acht Packungen Wasserreinigungs-Tabletten, vier Tuben Reisewaschmittel …«
Während der Haufen auf dem Tisch immer größer wurde, fiel mein Blick auf Liz' Gesicht. Sie hatte die Augen leicht zusammengekniffen und ihren Mund zu einem wütenden Flunsch verzogen. Ich meine, ist doch klar, James machte seine tolle Reise mit Paul (seinem ältesten Freund und Trottel vom Dienst), während Liz in London festsaß, wo sie einen Kurs an einer privaten Kunstakademie
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