Meine Freundin Jennie
jetzt, als die kleine rauhe Zunge über sein verletztes Ohr strich und die tiefen Rillen entlangfuhr, wo die scharfen Krallen des gelben Katers ihm an der Schulter und an der Flanke die Haut aufgerissen hatten; und jedesmal, wenn die Zunge der kleinen Katze darüberrieb, war es, als würde der Schmerz, der dort saß, wie durch Zauberei wegradiert.
Auch seine schmerzenden Muskeln taten ihm nicht weh, sobald die flinke Zunge rund um sie herum und dahinter und darunter seine Haut beleckte; sie entspannten sich und wurden wieder ganz locker, und ein köstliches Gefühl der Schläfrigkeit bemächtigte sich seiner. Nach all den schrecklichen Dingen, die ihm zugestoßen waren, tat es so wohl, so gehegt und gepflegt zu werden. Es hätte ihn kaum überrascht, seine neue Freundin sagen zu hören:
Aber sie sagte es nicht. Sie fuhr nur fort, ihn in einem wundervollen, einlullenden Rhythmus zu waschen, und es dauerte nicht lange, da spürte Peter, wie sein eigener Kopf sich leicht benommen im gleichen Takt mit dem ihren bewegte und in seiner Kehle wieder der kleine Motor der Zufriedenheit zu pochen begann. Bald nickte er ein und fiel dann rasch in einen tiefen Schlaf.
Als er aufwachte, war es viel später, weil das Licht, das durch die schmutzige Fensterluke hereindrang, jetzt ganz anders war; die Sonne mußte schon sehr hoch am Himmel stehen, denn ein Strahl von ihr fiel durch eine blanke Stelle in der Glasscheibe auf die rote Seidendecke über dem riesigen Bett und glitzerte dort wie der Wasserspiegel eines kleinen Sees.
Peter rollte sich mitten hinein in diese Lichtlache und stellte fest, daß er beinah wieder anständig aussah. Vom Kohlenstaub und Straßendreck war fast gar nichts mehr zu sehen. Sein weißes Fell war trocken und flauschig und verbarg jetzt wieder die häßlichen Wunden und Schrammen und hielt auch die Luft davon ab. Er spürte, daß er sein verletztes Ohr etwas hängen ließ, aber es tat ihm nicht mehr weh und war ebenfalls ganz trocken und sauber.
Die kleine Tigerkatze war nirgends zu erblicken. Peter versuchte aufzustehen und sich zu recken, aber es wollte ihm nicht recht gelingen, weil seine Beine so merkwürdig wacklig waren. Und da wurde ihm klar, daß nicht nur der Blutverlust, sondern auch der Hunger ihn so geschwächt hatte und er sicherlich eingehen würde, wenn er nicht bald etwas zu essen bekam. Wann hatte er denn zuletzt etwas gegessen? Das war doch schon eine Ewigkeit her — gestern oder vorgestern hatte er von Nanny mittags ein Ei, etwas frisches Gemüse, ein Fruchtgelee und ein Glas Milch bekommen. Es machte ihn ganz schwindlig, daran zu denken. Ob er überhaupt noch einmal etwas zu essen kriegen würde?
In diesem Augenblick hörte er einen leisen summenden Ton, eine Art Singsang — «Irrrp, Purrroh, Urrrp!» —, den er äußerst sympathisch und zugleich aufregend fand. Rasch drehte er sich in die Richtung, aus der dieser Laut kam, und gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die kleine Tigerkatze zwischen den Latten am anderen Ende des Verschlags hereinschlüpfte. Sie trug etwas Graues in ihrem Maul.
Mit einem Satz sprang sie neben ihn auf das Bett und ließ ihre Beute fallen.
«Ah», sagte sie. «So ist’s recht. Fühlst du dich etwas besser nach dem Schläfchen? Wie wär’s mit einem Stück Maus? Ich habe sie gerade draußen im Gang neben dem Fahrstuhl gefangen. Sie ist wirklich ganz frisch. Ich will sie gern mit dir teilen. Du bist gewiß hungrig, und ich könnte auch einen Happen vertragen. Aber bediene du dich nur zuerst.»
«O n-nein... Nein, nein, danke», sagte Peter entsetzt. «Keine Maus. Ich könnte die nicht...»
«Nanu!» rief die Tigerkatze erstaunt aus und fügte ein ganz klein bißchen gekränkt hinzu: «Was hast du denn gegen eine Maus?»
Sie war so gut zu ihm gewesen, und er war so froh, sie wiederzusehen, daß Peter um keinen Preis ihre Gefühle verletzen wollte.
«Oh, gar nichts», stammelte er. «Nur... ja, ich habe eben noch nie eine gegessen.»
«Noch keine Maus gefressen?» Die Tigerkatze riß ihre grünen Augen so weit auf, daß die goldenen Lichtpünktchen darin Peter förmlich blendeten. «Na, das ist doch die Höhe! Noch keine Maus gefressen! Ihr verpimpelten und verhätschelten Haus- und Schoßkatzen! Unter gehackter roher Leber und Katzenfutter aus der Konserve tut ihr’s wohl nicht, wie? Ich weiß Bescheid, mir brauchst du nichts zu erzählen. Früher hab ich’s
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