Meine Freundin Jennie
mit dem gelben Kater in dem Kornspeicher unten bei den Docks. Sie hörte sich seinen Bericht mit offensichtlichem und lebhaftem Interesse an, und als er geender hatte, nickte sie und sagte:
«Ach, du meine Güte! Ja, das kann nur Dempsey gewesen sein. Er ist der beste Kämpfer im ganzen Hafenviertel von Wapping bis runter nach Limehouse. Jeder macht einen großen Bogen um Dempsey. Da hast du wirklich Mut gehabt, ihm so deine Meinung zu sagen. Ich bewundere ‘ dich deswegen, wenn es auch tollkühn von dir war. Bei einer Rauferei zieht eine Hauskatze doch immer den kürzeren, und besonders mit einem solchen Athleten wie Dempsey!»
Peter freute sich über die Bewunderung der kleinen Tigerkatze, und er schwoll richtig etwas an vor Stolz. Er wünschte nur, es wäre ihm gelungen, diesem Dempsey einen tüchtigen Hieb zu versetzen, den er nicht so bald vergessen hätte, und er dachte, daß er das vielleicht noch einmal tun würde. Doch dann fielen ihm die letzten Worte des großen Katers ein: Und es wurde ihm etwas übel bei dem Gedanken, besonders als er an die harten und blitzartigen Schläge jener grausamen Pfoten dachte, die ihn so schnell seiner Sinne beraubt und für den letzten Angriff so völlig wehrlos gemacht hatten, daß er, wenn er nicht etwas Glück gehabt hätte, dabei womöglich draufgegangen wäre. Ganz bestimmt würde er Dempsey in Zukunft auch aus dem Wege gehen, aber laut sagte er:
«Oh, so schlimm war es gar nicht. Wenn ich nicht von dem vielen Laufen so müde gewesen wäre...»
Die kleine Tigerkatze lächelte rätselhaft: «Wovor bist du denn davongelaufen, Bürschlein?»
Doch ehe Peter noch etwas darauf erwidern konnte, sagte sie: «Laß nur, ich weiß, wie das ist. Wenn du das erste Mal auf dich allein angewiesen bist, jagt dir einfach alles Angst ein. Und glaub nur ja nicht, daß dann nicht jeder das Hasenpanier ergreift! Dessen brauchst du dich wahrhaftig nicht zu schämen. Aber sag mal, wie heißt du eigentlich?»
Peter sagte es ihr, und sie erwiderte: «Hm... Und ich heiße Jennie. Ich würde gern deine Geschichte hören. Magst du sie mir erzählen?»
Das wollte Peter sehr gern, doch merkte er plötzlich, daß er etwas davor zurückscheute, weil er sich durchaus nicht sicher war, wie sie sich anhören würde, und, was noch mehr ins Gewicht fiel, ob Jennie ihm glauben und wie sie sie aufnehmen würde. Denn zweifellos würde es eine höchst kuriose Geschichte werden.
Eine Geschichte wird erzählt
Streng genommen, fing Peter seine Geschichte denkbar ungeschickt an,
als er sagte:
«In Wirklichkeit bin ich gar kein Kater, sondern ein kleiner Junge. Das heißt, so klein auch wieder nicht, denn ich bin immerhin schon acht.»
«Du bist ein — was?» Jennie stieß einen langgedehnten Brummton aus, und ihr Schwanz plusterte sich auf, daß er nochmal so dick wurde.
Peter konnte sich nicht vorstellen, was sie so zornig machte, und zögernd wiederholte er: «Ein Junge...»
Der Schwanz der kleinen Tigerkatze plusterte sich noch mehr auf und bewegte sich unruhig hin und her. Ihre Augen schienen Funken zu versprühen, als sie fauchte: «Ich hasse Menschen!»
«Oh!» sagte Peter, denn er war plötzlich voller Sympathie und Verständnis für die arme, magere kleine Katze, die so freundlich zu ihm gewesen war. «Da muß dir ja jemand etwas Schreckliches angetan haben. Aber ich liebe Katzen!»
Jennie sah besänftigt aus, und ihr Schwanz beruhigte sich wieder. «Natürlich», sagte sie, «das ist nur deine Phantasie. Ich hätte es mir denken können. Wir bilden uns ja immer etwas ein, zum Beispiel, daß ein Blatt, das vom Wind hochgeblasen wird, eine Maus ist, und ist gar kein Blatt da, stellen wir uns einfach eins vor, und dann arbeitet unsere Phantasie weiter, und wir sehen kein Blatt mehr, sondern eine Maus oder, wenn wir wollen, auch eine ganze Menge Mäuse, und über die fallen wir dann her. Du bildest dir eben gern ein, du seist ein Junge, obwohl ich nicht verstehen kann, was du daran für einen Spaß finden kannst. Immerhin...»
«Oh, bitte», fiel Peter ihr ins Wort. Er konnte es irgendwie spüren, daß die kleine Tigerkatze nichts davon hören wollte, daß er ein Junge war, und doch wußte er, daß er ihr, selbst auf die Gefahr hin, sie zu kränken, die Wahrheit sagen mußte. «Bitte, es tut mir so leid, aber es ist wirklich so. Du mußt mir glauben. Ich heiße Peter Brown und ich lebe
Weitere Kostenlose Bücher