Meine Freundin Jennie
Tropfen Blut, den sie vergoß, jeden Kratzer, Biß und Stich und Hieb, weil sie alle diese Verwundungen ja für ihn erlitt und sie ihr deshalb überhaupt nicht weh taten.
Nachts lagen sie Seite an Seite auf dem großen Bett des Kaisers Napoleon und beleckten sich gegenseitig ihre Wunden, damit diese rasch zuheilten und am nächsten Tag, sobald Peter und Jennie sich wieder zu ihrem mörderischen Training in die Sporthalle begaben, jedenfalls sauber und trocken waren. Peter hatte bereits große Fortschritte gemacht, und die Schnelligkeit, die Wendigkeit und Gefährlichkeit seiner Angriffe ließen kaum noch etwas zu wünschen übrig. Und wenn es ihm auch auffallen mußte, daß er jetzt bei seinem Training viel glimpflicher davonkam als Jennie, deren Gesicht und Körper von allen möglichen Wunden förmlich übersät war, 9agte er doch nichts, denn sie hatte ihn nicht umsonst darauf hingewiesen, daß er bei dem bevorstehenden Kampf sein Leben aufs Spiel setzte. Es blieb ihm ja auch nur noch so wenig Zeit, um sich darauf vorzubereiten, und er mußte doch gut in Form sein, wenn er sich ebenso sehr für Jennies wie für sein eigenes Glück schlagen würde.
Am dritten Tag durfte Peter nicht mehr trainieren, und Jennie wollte es auch nicht zulassen, daß er irgendetwas zu sich nahm, denn sie wußte, daß man mit leerem Magen viel besser kämpfte. Doch sorgte sie dafür, daß er sich entspannte, und so ließ sie ihn den ganzen Tag auf dem Bett schlafen; und wenn er unruhig wurde, weil die Stande des Kampfes immer näherrückte, beschwichtigte sie ihn, indem sie ihn so lange wusch und massierte, bis er wieder einschlief.
So wurde es allmählich ganz dunkel in dem kleinen Verschlag, und während die Sonne ihre Wanderung fortsetzte, um jetzt den Bewohnern anderer Länder ihr Licht zu spenden, schlief Peter den ruhigen tiefen Schlaf, der alle Wunden des Leibes und der Seele heilt und neue Kraft verleiht.
Kurz bevor Dempsey dann kam und nach Jennie rief, fuhr Peter plötzlich hoch und war sofort völlig wach und munter. Es war stockfinster, doch das Licht eines einsamen Sterns, das durch das schmutzige Fenster in den Raum drang, genügte für seine empfindlichen Katzenaugen, um sich zu orientieren. Jennie lag neben ihm, aber er sah sie kaum, obwohl sie dicht neben ihm lag. Er reckte sich einmal und kauerte sich dann wieder hin und hob lauschend den Kopf.
Es dauerte auch nicht lange, da hörte er den erwarteten Ruf. Der Schall wurde zwar auf seinem langen Weg durch den Tunnel und die vielen Windungen der Korridore des Lagerhauses stark gedämpft, aber es war unverkennbar Dempseys Stimme. Peter erkannte sie sofort wieder. Überall würde er diese Stimme erkannt haben, die jetzt so ungeduldig rief: «Jennie, komm heraaaaaus! Komm heraaaaaus. Jennie!»
Ein leises dumpfes Knurren brach aus Peters Kehle hervor. Er legte sich flach auf den Bauch und begann vorwärts zu kriechen. Er hörte noch, wie Jennie tief aufseufzte und ihm fast lautlos zuflüsterte: «Weidmanns Heil, liebster Peter!», und dann sprang er mit einem Satz vom Bett herunter und schlüpfte zwischen den Holzlatten hinaus. In wellenförmigen Bewegungen glitt er dann so dicht am Boden weiter durch die dunklen Gänge, daß das Fell an seinem Bauch wie ein Besen darüber hinwegfegte und es fast so aussah, als fließe er auf den Tunnel zu, aus dem er wieder den Ruf vernahm, bei dem sich jedes einzelne Haar von seinem Fell zu sträuben schien...:
«Jennie, komm heraaaaaus!»
Der letzte Kampf
«Komm heraaaaaus, meine Jennie! Komm jetzt aaaaaugenblicklich heraaaaaus!»
Dieser ungeduldige heisere Schrei von der Straße hallte laut in dem stockfinsteren Tunnel wider, durch den Peter langsam auf den Ausgang zukroch. Bei dem Gedanken, daß er Dempsey in wenigen Augenblicken gegenüberstehen würde, wurde Peter sich bewußt, daß er doch große Angst hatte und sich schrecklich allein fühlte. Trotzdem kroch er tapfer weiter.
Während der letzten Tage hatte er sich in Jennies Nähe und in der Geborgenheit ihres Heims so sicher gefühlt und ihre Gegenwart war ihm ein so großer Trost und Beistand gewesen, daß ihn dies davor bewahrt hatte, sich über die Auseinandersetzung, die ihm jetzt bevorstand, zu viele Gedanken zu machen. Auch hätte er um alles in der Welt Jennie nicht merken lassen wollen, daß er gar nicht so unbekümmert und furchtlos war, wie Jennie zu glauben schien.
Aber hier in diesem finsteren Tunnel, wo ihn niemand sah und niemand da war, vor dem er mit
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