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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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nicht. Ich glaube, er hatte gar nicht gehört, was ich sagte, so begierig war er, mir alles darüber zu erzählen, und um ihn und mich zu verschonen, sagte ich ihm noch einmal, in dem Schulhaus von Elmira, New York, sei ich nie gewesen, nicht einmal zu Besuch, seine Mutter müsse mich mit einem der Langdons verwechseln, der Familie, in die ich eingeheiratet habe. Gleichwie, er wollte nichts davon wissen – setzte mit lebhaftem Vergnügen seine Rede fort und hat seiner Mutter ich weiß nicht was erzählt. Von mir erfuhr er nichts, was er ihr hätte erzählen können, denn er hörte gar nichts von dem, was ich sagte.
    Vor Jahren pflegten mich derlei Vorfälle zu irritieren. Aber inzwischenirritieren sie mich nicht mehr. Ich bin älter geworden. Wenn jemand glaubt, mich früher einmal gekannt zu haben, verlange ich von ihm lediglich, dass er es als Auszeichnung auffasst, mich gekannt zu haben; und dann bin ich in der Regel durchaus gewillt, mich an alles zu erinnern und einige Dinge nachzutragen, die er vergessen hat.
     
    Twichell kam aus Hartford, um der Versammlung beizuwohnen, und als wir nach Hause zurückgekehrt waren, plauderten und rauchten wir. Und kamen wieder auf jene verhängnisvolle Rede in Boston zu sprechen, die ich bei dem Dinner zu Whittiers siebzigstem Geburtstag gehalten hatte; Joe fragte mich, ob mir noch immer der Sinn danach stand, diese Rede übermorgen vor dem Club in Washington zu halten, wo Colonel Harvey und ich zwei der vier Gäste sein würden. Ich antwortete: »Nein.« Ich hätte die Sache aufgegeben – was zutraf. Denn seitdem habe ich die Rede mehrmals geprüft und meine Meinung dazu geändert – grundlegend geändert. Ich finde sie ordinär, grob – nun, ich brauche nicht näher darauf einzugehen. Von Anfang bis Ende gefiel mir keine einzige Passage. Ich fand sie anstößig und abscheulich. Wie erkläre ich mir diese Sinnesänderung? Ich weiß es nicht. Ich kann sie mir nicht erklären. Ich bin der Betroffene. Wenn ich mich außerhalb meiner selbst begeben und die Rede vom Standpunkt eines Menschen begutachten könnte, der nicht persönlich betroffen ist, wäre ich zweifellos in der Lage, sie zu analysieren und mir den Sinneswandel, der stattgefunden hat, befriedigend zu erklären. So wie die Dinge liegen, lasse ich mich lediglich vom Instinkt leiten. Zunächst sagte mir mein Instinkt, es sei eine unschuldige Rede und eine komische dazu. Derselbe Instinkt hat kalt und kritisch als Revisionsgericht getagt und das Urteil kassiert. Ich rechne damit, dass dieses letzte Urteil Bestand haben wird. 8 Ich werde die Rede nicht aus der Autobiographie entfernen, denn ich glaube, dieser Sinneswandel ist interessant, ob nun die Rede selbst interessant ist oder nicht, also soll sie stehenbleiben.
    Twichell hatte einen Brief bei sich, der mich interessierte, und auf meinenWunsch ließ er ihn mir da; zurückgeben sollte ich ihn, wenn ich ihn gelesen hätte. Der Brief ist von Reverend Charles Stowe, einem Sohn Harriet Beecher Stowes. Inzwischen ist der Brief rund zwei Monate alt – aber in dieser Zeit hat Joe ihn ziemlich zerfleddert, indem er ihn überall den Leuten vorliest. Das heißt, er liest den Leuten eine bestimmte Passage vor. Auch mir las er die Passage vor, und zwar diese:
     
    In Rev. Dr. Burtons Band
Remains,
den »Überbleibseln«, wie die alten Leute zu sagen pflegten, las ich Ihre Grabrede. Ich finde, was Schönheit der Diktion, Reichtum der Gedanken, Behutsamkeit und Kraft der psychologischen Analyse angeht, ist sie den Meistern unserer Sprache gewachsen. Die Passage, die ich am meisten bewundere, beginnt mit »Die Menschen sahen das Sonnenlicht in ihm« etc. Ich glaube, das Ganze ist ein Juwel, aber diese Passage ist ein Meisterwerk an schönem und würdigem Englisch. Es ist eine Schande, dass Männer wie Dr. Parker und Dr. Burton in der Schlacht des Lebens in gewisser Weise – nein, dass Männer wie
Sie
und Dr. Burton in gewisser Weise den 130 Schiffen der spanischen Armada bei Trafalgar gleichen, besiegt von Pygmäen.
     
    Und Joe fragte: »Mark, wie denken Sie darüber?«
    Ich antwortete: »Nun, Joe, ich will mich nicht festlegen. Schicken Sie mir die Passage, dann will ich meine Meinung dazu abgeben.«
    Joe sagte: »Wissen Sie, der Reiz der ganzen Sache liegt darin, dass nicht
ich
dieses wunderbare Juwel hervorgebracht habe – es war Parker.«
    Twichell zieht große Befriedigung daraus. Vor einiger Zeit luden seine Töchter eine große Gesellschaft ihrer jungen Freunde

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