Meine geheime Autobiographie - Textedition
beiderlei Geschlechts zu sich ein, und als sie mitten beim Festessen saßen, kam Joe herein, begrüßte sie und wurde willkommen geheißen. Doch mit seinem Grauschädel brachte er sie notwendigerweise in beträchtliche Verlegenheit, und die Ausgelassenheit, auch wenn sie vielleicht nicht ganz erstarb, sank auf den angemessenen Grad der Ehrerbietung vor Joes Amtstracht und seinem Alter. Das war genau die richtige Atmosphäre – waren genau die richtigen Voraussetzungen für eine eindrucksvolle Präsentation jener Briefpassage, und Joe las sie mit sichtlichem Stolz und nahezu jugendlicher Eitelkeit – währenddie jungen Leute aus Mitleid mit einem alten Mann, der seine Eitelkeit so zur Schau stellte und solch kindisches Vergnügen daran fand, die Augen niederschlugen. Joes Töchter erröteten; blickten einander an und waren kurz davor, zu weinen über diese demütigende Vorführung. Dann beendete Twichell natürlich seine Darbietung, indem er ihnen mitteilte, dieses Lob sei zwar verdient, aber es gelte nicht ihm – Mr. Stowe habe einen Fehler begangen. Wenn er die Passage, die er so sehr lobte, genauer angesehen hätte, wäre ihm nicht entgangen, dass sie das Werk von Rev. Dr. Parker sei und nicht seins.
Auf einer der montagvormittäglichen Zusammenkünfte der Geistlichkeit verfuhr Twichell genauso. Und zwar mit einem ganz ausgezeichneten Effekt, da Parker mitten in der Lesung das Wort ergriff und sagte: »Nun, Joe, das ist zu viel. Wir wissen, dass Sie schöne Dinge zuwege bringen; wir wissen, dass Sie wunderbare Dinge zuwege bringen; aber etwas so Wunderbares wie das, wovon Charley Stowe spricht, haben Sie noch nie zuwege gebracht. Er ist kein kompetenter Kritiker, das liegt auf der Hand. In der ganzen englischen Literatur gibt es nichts, was einer so übertriebenen Lobhudelei würdig wäre wie der, mit der Charley Stowe Ihre Burton-Rede bedenkt.«
Daraufhin erklärte Joe, Parker schade nur sich selbst, denn es sei Parkers Rede, von der die Passage handele.
Parker übt noch immer seine gewohnte Arbeit aus. Seit sechsundvierzig Jahren ist er Hirte ein und derselben Gemeinde – ihrer Kinder, Enkel und Urenkel. Joe meint, er sei nach wie vor ein großartiger Künstler im englischen Ausdruck und ein ausgezeichneter und tiefer Denker. Meines Wissens besagt das eine Menge. In den alten Tagen in Hartford, seitdem ich ihn kannte, war er einer unserer bemerkenswertesten Männer gewesen, und in dieser Stadt gab es acht oder zehn Männer, die den Durchschnitt überragten.
Twichells Gemeinde – die einzige Gemeinde, der er seit seinem Eintritt in das geistliche Amt vorgestanden hat – feierte vor ein paar Wochen den vierzigsten Jahrestag seiner Besteigung der Kanzel. Gleich zu Beginn des Bürgerkrieges war Joe als Kaplan in die Armee eingetreten. Er war noch ein junger Bursche und hatte eben Yale und das dortige Theologische Seminar abgeschlossen.Er nahm an sämtlichen Feldzügen der Potomac-Armee teil. Als er ausgemustert wurde, berief ihn die Gemeinde, von der ich spreche; ihr dient er seither und immer zu ihrer vollen Befriedigung – mit einer Ausnahme.
Unter meinen alten Manuskripten habe ich eins gefunden, das etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein dürfte. Es trägt eine Überschrift und sieht ganz danach aus, als hätte ich es als Zeitschriftenartikel verwenden wollen. Heute sehe ich deutlich, warum ich es nicht habe drucken lassen. Es steckt voller Hinweise darauf, dass ich mich von etwas hatte anregen lassen, was Twichell damals widerfahren war und ihn in eine Lage gebracht hatte, die er bis zu seinem Tod nicht vergessen wird, falls er sie danach vergessen kann. Ich glaube zu erkennen, dass ich den ganzen hinterlistigen Artikel hindurch auf Twichell anzuspielen versuchte, auf die Episode mit jenem Prediger, dem ich auf der Straße begegnet war, und auf verschiedene Dinge, die mich auf die Palme brachten. Und jetzt, als ich diesen alten Artikel wiederlese, sehe ich, dass ich vermutlich gemerkt hatte, dass meine List nicht raffiniert genug war – dass ich Twichell und die Episode, auf die ich anspielte, nicht hinreichend verschleiert hatte, so dass jeder in Hartford alles, was ich zu verbergen suchte, zwischen den Zeilen lesen konnte.
Ich will den altehrwürdigen Artikel an dieser Stelle einrücken und danach ebenjene Episode in Joes Lebensgeschichte aufgreifen und davon erzählen.
Der Charakter des Menschen
Den Menschen betreffend – er ist ein zu großes Thema, um als Ganzes abgehandelt zu werden; folglich
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