Meine geheime Autobiographie - Textedition
zu machen. Ich bezog meinen Lebensunterhalt nicht in Hartford. Für meine Bedürfnisse war er ausreichend. Hartfords Meinung von mir konnte ihm nichts anhaben; außerdem war unter meinen Freunden längst bekannt, dass ich noch nie eine Parteiliste für alle Ämter gewählt und mir deshalb das Verbrechen so zur Gewohnheit gemacht hatte, dass mich die Missbilligung meines Verhaltens kaum läutern konnte – und vielleicht war ich ja ohnehin nicht der Mühe wert.
Bald, etwa zwei Monate später, kam Silvester und damit die Jahresversammlung von Joes Gemeinde und der jährliche Verkauf der Kirchenbänke.
Donnerstag, 1. Februar 1906
Das Thema vom 24. Januar wird fortgesetzt –
Mr. Twichells missliebige Stimmabgabe
Joe war nicht richtig anwesend. Es gehörte sich für ihn nicht, bei Geschäftsgesprächen über Angelegenheiten der Kirche in Hörweite zu sein. Er blieb in der Abgeschiedenheit des Kirchenzimmers und hielt sich bereit, hinzugezogen zu werden, falls man ihn benötigte. Die Gemeinde war vollzählig versammelt; jeder Platz war besetzt. Kaum war zur Ordnung gerufen worden, sprang ein Mitglied auf und beantragte, die Verbindung zwischen Twichell und der Kirche zu lösen. Der Antrag wurde sogleich unterstützt. Hier und da und überall im Saal wurden Rufe nach »Abstimmung! Abstimmung!« laut. Doch Mr. Hubbard, ein Mann mittleren Alters, ein kluger, ruhiger und gelassener Mann, Geschäftsführer und Miteigentümer des
Courant,
erhob sich und schlug vor, den Antrag erst zu debattieren, bevor man ihn voreilig zur Abstimmung stelle. Der Gehalt seiner Bemerkungen war dieser (da ich nicht dabei war, muss ich sie natürlich mit meinen eigenen Worten wiedergeben):
»Mr. Twichell war der erste Pastor, den Sie je gehabt haben. Bis vor zwei Monaten wollten Sie keinen anderen. An seiner Amtsführung hatten Sie nichts zu beanstanden, aber plötzlich ist er nicht länger geeignet, sie fortzusetzen, da er Ihrer Ansicht nach in seiner Politik unorthodox ist. Also, er
war
geeignet; er ist nicht länger geeignet. Er
war
wertvoll; scheinbar hat sein Wert sich verflüchtigt – aber nur scheinbar. Sein höchster Wert bleibt erhalten – falls ich diese Gemeinde kenne. Als er das Pfarramt übernahm, war diese Gegend ein entlegener, dünnbesiedelter Bezirk und ihr Grundbesitz so gut wie nichts wert. Mr. Twichells Persönlichkeit war ein Magnet, der sofort Neusiedler anzuziehen begann. Er zieht sie bis heute an. Folglich erfährt Ihr Grundstücks, der zu Beginn fast wertlos war, eine Wertsteigerung. Denken Sie darüber nach, bevor Sie über die Resolution abstimmen. Die Kirche in West Hartford erwartet diese Abstimmung mit großer Anteilnahme. Die Grundstückspreise der Gemeinde befinden sich auf niedrigem Niveau. Wonach sie sich jetzt – außer nach Gott – am meisten sehnt, ist jemand, der diePreise steigen lässt. Wenn Sie Mr. Twichell heute Abend entlassen, wird man ihn morgen dort anstellen. Dort werden die Preise steigen; hier werden die Preise sinken. Das ist alles. Ich beantrage die Abstimmung.«
Twichell wurde nicht entlassen. Das ist jetzt zweiundzwanzig Jahre her. Es war Twichells erste Kanzel nach seiner Ordination zum Pastor. Er hat sie noch immer inne und hatte nie eine andere inne. Vor ein paar Wochen feierte die Gemeinde mitsamt ihren Nachkommen den vierzigsten Jahrestag seiner Kanzelbesteigung, und es herrschte große Begeisterung. Twichell hat seitdem nie wieder einen politischen Fehler begangen. Die Hartnäckigkeit, mit der er rechts wählt, war mir all die vielen Jahre über ein Ärgernis, war Anlass und Anregung für mehr als einen bösen Brief von mir an ihn. Aber die Bösartigkeit war nur vorgetäuscht. So richtig habe ich nie monieren können, dass er die teuflische Liste der Republikanischen Partei gewählt hat, aus dem einfachen Grund, weil so, wie es um ihn bestellt war, mit einer großen Familie, die er ernähren musste, seine erste Pflicht nicht seinem politischen, sondern seinem familiären Gewissen galt. Ein Opfer musste erbracht, eine Pflicht erfüllt werden. Seine allererste Pflicht galt seiner Familie, nicht seinem politischen Gewissen. Er opferte seine politische Unabhängigkeit und rettete damit seine Familie. Unter den Umständen war das die höchste Loyalität und die beste. Wäre er ein Henry Ward Beecher gewesen, hätte er nicht das Privileg gehabt, sein politisches Gewissen opfern zu können, da ihm im Falle einer Entlassung tausend Kanzeln offengestanden hätten und das Brot seiner
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