Meine geheime Autobiographie - Textedition
betrachte, stimme in der Mehrzahl der Fälle mit meinen Ansichten nicht überein; wenn es irgendeinen nützlichen Unterschied zwischen einem Amerikaner und einem Monarchisten gebe, so liege er in der Theorie, dass der Amerikaner selbst entscheiden könne, was patriotisch ist und was nicht; wohingegen ein König dem Monarchisten seinen Patriotismus vorschreiben könne – eine Entscheidung, die endgültigsei und vom Opfer akzeptiert werden müsse; meiner Überzeugung nach sei ich unter sechzig Millionen – den sechzig Millionen mit dem Kongress und der Regierung im Rücken – der einzige Mensch, der dazu privilegiert sei, mir meinen eigenen Patriotismus zu konstruieren.
Sie fragten: »Angenommen, das Land tritt in einen Krieg ein – wo stehen Sie dann? Maßen Sie sich etwa das Recht an, auch in dieser Angelegenheit Ihren eigenen Weg zu gehen, gegen die ganze Nation?«
»Ja«, antwortete ich, »genau das ist meine Position. Wenn ich der Auffassung wäre, dass es sich um einen ungerechten Krieg handelt, würde ich das sagen. Wenn ich aufgefordert würde, für diese Sache das Gewehr zu schultern und unter dieser Flagge zu marschieren, würde ich mich weigern. Ich würde nicht freiwillig unter der Flagge dieses oder irgendeines anderen Landes marschieren, wenn das Land meinem persönlichen Urteil nach im Unrecht ist. Wenn das Land mich
zwingen
würde, das Gewehr zu schultern, könnte ich nichts daran ändern, aber ich würde mich niemals freiwillig melden. Mich freiwillig zu melden wäre Verrat an mir selbst und folglich Verrat an meinem Land. Sollte ich mich nicht freiwillig melden, würde man mich einen Verräter
nennen
, dessen bin ich mir wohl bewusst – aber deswegen wäre ich noch lange kein Verräter. Der einstimmige Beschluss von sechzig Millionen könnte mich nicht zum Verräter stempeln. Ich wäre noch immer Patriot, meiner Meinung nach der einzige im ganzen Land.«
Es wurde eine Menge geredet, aber ich konnte niemanden bekehren. Sie alle waren aufrichtig genug, um zu sagen, dass sie Mr. Blaine nicht wählen wollten, aber sie alle sagten, dass sie es dennoch
tun
würden. Dann meinte Henry Robinson:
»Bis zur Wahl ist es noch eine gute Weile hin. Sie haben genügend Zeit, es sich anders zu überlegen; und Sie werden es sich anders überlegen. Die Einflüsse, die auf Sie einwirken, werden zu stark sein. Am Wahltag werden Sie Blaine wählen.«
Ich entgegnete, ich wolle überhaupt nicht zur Wahl gehen.
Von da an bis Mitternacht wurde es sehr ungemütlich für den
Courant
. General Hawley, Chefredakteur (und Oberbefehlshaber) der Zeitung, war auf seinem Posten im Kongress, und bis Mitternacht gingen zwischen dem
Courant
und ihm eifrig Telegramme hin und her. Zwei Jahre lang hatte der
Courant
Mr. Blaine zum »Teerbaby« gemacht und ihn jeden Tag mit mehr Teer beschmiert – und jetzt war die Zeitung aufgerufen, ihn zu loben, ihm zuzujubeln und ihre gutunterrichtete Leserschaft aufzufordern, das »Teerbaby« ins höchste Amt der Nation zu hieven. Es war eine schwierige Lage, und die Redakteure des
Courant
und General Hawley brauchten neun Stunden, um die bittere Pille zu schlucken. Schließlich aber kam General Hawley zu einer Entscheidung, und um Mitternacht war die Pille geschluckt. Binnen vierzehn Tagen hatte der
Courant
die Fertigkeit erworben, zu loben, was er so lange kritisiert hatte; nach einem weiteren Monat war selbiger Charakterwandel abgeschlossen – und er hat seine Tugend bis heute noch nicht ganz zurückgewonnen, auch wenn er unter Charles Hopkins Clarks Herausgeberschaft meiner Schätzung nach 90 Prozent zurückerlangt hat.
Herausgeber damals war Charles Dudley Warner. Er konnte die neuen Bedingungen nicht ertragen. Er sah sich außerstande, seine Feder in die andere Richtung zu drehen und sie rückwärtslaufen zu lassen, deshalb entschloss er sich, ihr ganz den Laufpass zu geben. Er trat von seinem Posten zurück, verzichtete auf sein Gehalt, lebte von da an von seinem Einkommen als Miteigentümer der Zeitung, von seinen Einkünften aus Zeitschriftenartikeln und Vorträgen und behielt seine Stimme am Wahltag in der Hosentasche.
Das Gespräch mit dem gelehrten amerikanischen Mitglied der Kommission, die das Neue Testament revidierte, trug sich so zu, wie ich es in dem alten Artikel skizziert habe. Er war sehr heftig in seinen Angriffen auf Blaine, seinen Verwandten, und sagte, er werde ihn niemals wählen. Aber er hatte sich so daran gewöhnt, Neue Testamente zu revidieren, dass er nur ein
Weitere Kostenlose Bücher