Meine geheime Autobiographie - Textedition
Briefverkehr mit Patricks Tochter Nancy verfolgt, und so wussten wir bereits, dass die Sache aussichtslos war. Das Ende scheint sogar noch näher zu sein, als Twichell vermutet. Gestern Abend ließ ich Twichell ausrichten, ich
wisse,
dass Patrick nur noch ein, zwei Tage zu leben habe, und er dürfe nicht vergessen, einen Kranz niederzulegen und eine Karte mit meinem, Claras und Jeans Namen anzuheften und den Worten: »In liebevollem Gedenken an Patrick McAleer, sechsunddreißig Jahre hindurch ein treuer und geschätzter Freund unserer Familie.«
Ich wollte sagen, dass er uns sechsunddreißig Jahre lang
gedient
hatte, aber einige Leute hätten das nicht verstanden. Sechsundzwanzig Jahre lang hatte er uns ohne Unterbrechung gedient. Dann kam die Pause, als wir neun oder zehn Jahre in Europa verbrachten. Aber wenn Patrick seinen Grabkranz sehen könnte – würde ich rundheraus schreiben, dass er uns sechsunddreißigJahre lang gedient hatte. Denn letzten Sommer, als wir uns in Dublin, in den Bergen von New Hampshire, aufhielten, hatten wir Patrick bei uns. Am 1. Mai war Jean nach Hartford gefahren und hatte seine Dienste für den Sommer sichergestellt. Zwangsläufig war Katy Leary, die seit sechsundzwanzig Jahren auf unserer Liste steht, ein Mitglied unseres Haushalts; und eines Tages hörte Jean, wie Katy und Patrick sich über die Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses stritten. Katy behauptete, sie habe der Familie länger gedient als Patrick. Patrick behauptete, davon könne keine Rede sein; als Katy gekommen sei, habe er bereits zehn Jahre in den Diensten der Familie gestanden, und inzwischen diene er ihr seit sechsunddreißig Jahren.
Dort in den Bergen von New Hampshire war er noch genauso lebhaft wie sechsunddreißig Jahre zuvor. Er war vierundsechzig Jahre alt, aber immer noch so schlank und schmuck und stattlich, so flink und leichtfüßig wie in den längst entschwundenen Tagen seiner Jugend. Für seine Aufgabe war er der perfekteste Mann, den ich je gekannt habe, und zwar aus folgendem Grund: Nie vernachlässigte er ein noch so geringes Detail seiner Pflichten, und nie bestand Anlass, ihm irgendwelche Anweisungen zu erteilen. Er führte seine Aufgaben ohne jede fremde Hilfe aus. Die Pferde hatten immer ausreichend Futter; die Pferde waren immer frisch beschlagen, wenn sie beschlagen werden mussten; Kutschen und Schlitten wurden immer gewartet; alles hielt er in perfekter Ordnung. Es war ein großes Glück, einen solchen Mann um sich zu haben. Ich wäre gar nicht imstande, irgendjemandem zu sagen, was er zu tun habe. Er war mein ganz besonderer Diener, und ich brauchte ihm überhaupt nichts zu sagen. In den Bergen von New Hampshire war er genauso. Solange er da war, fünf volle Monate, brauchte ich ihm nie eine Anweisung zu erteilen, und in seinem Zuständigkeitsbereich fehlte es an nichts.
Als wir ein oder zwei Jahre verheiratet waren, nahm sich Patrick eine Frau, und sie wohnten in dem Haus, das wir an die Stallung anbauten. Sie zogen acht Kinder groß. Vor zwei oder drei Jahren verloren sie eins – einen blühenden jungen Mann, Redaktionsassistent einer Hartforder Tageszeitung, glaube ich. Die Kinder besuchten alle die öffentliche Grundschule und die Highschool. Inzwischen sind sie natürlich erwachsen.
Unser erstes Kind, Langdon Clemens, wurde am 7. November 1870 geboren und lebte zweiundzwanzig Monate. Susy wurde am 19. März 1872 geboren und starb am 18. August 1896 in unserem Haus in Hartford. Als das Ende kam, waren Jean, Katy Leary, John und Ellen (der Gärtner und seine Frau) bei ihr. Am 31. Juli trafen Clara, ihre Mutter und ich von unserer Weltreise in England ein und nahmen uns ein Haus in Guildford. Eine Woche später, als Susy, Katy und Jean aus Amerika hätten eintreffen sollen, traf statt ihrer ein Brief ein.
Freitag, 2. Februar 1906
Das Thema vom 1. Februar wird fortgesetzt – Der Tod von Susy Clemens –
Endet mit einer Erwähnung Dr. John Browns
Darin stand, dass Susy leicht erkrankt sei – nichts Ernstes. Aber wir waren beunruhigt und baten telegraphisch um weitere Nachrichten. Das war an einem Freitag. Den ganzen Tag keine Antwort – und das Schiff sollte mittags am nächsten Tag von Southampton auslaufen. Clara und ihre Mutter begannen zu packen, um reisefertig zu sein, falls es schlechte Nachrichten gäbe. Schließlich kam ein Überseetelegramm: »Wartet auf Telegramm am Morgen.« Das war nicht zufriedenstellend – nicht beruhigend. Ich kabelte erneut und bat darum, die
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