Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
Vom Netzwerk:
Vortragsreise unterwegs war, überbrachten mir die Briefe, die ich täglich erhielt, meist Nachrichten von der Front – womit ich den mörderischen Krieg über die richtige Schreibung von Wörtern meine, den diese beiden Rechtschreibkünstlerinnen auf freundschaftliche Art führten. Eines dieser Wörter war
scissors
(Schere). Nie schienen sie ein Wörterbuch zu Rate zu ziehen; immer wollten sie etwas oder jemand Zuverlässigeres. Gemeinsam hatten sie
scissors
auf siebenerlei Weise buchstabiert, eine Meisterleistung, mit der sich, wie ich überzeugt bin, kein heute lebender Mensch, ob gebildet oder ungebildet, messen kann. Ich habe vergessen, wie sie mich dazu aufforderten, ihnen zu verraten, welche der sieben Schreibweisen die richtige sei. Ich vermochte es nicht. Denn selbst wenn sie vierzehn Schreibweisen gefunden hätten, wäre doch keine die richtige gewesen. Ich kann mich nur noch an eine der angebotenen Varianten erinnern – die anderen sechs sind mir entfallen. Es war
sicisiors
. Die Schreibweise nahm sich in den Augen ihrer Erfinderin so vernünftig – so plausibel aus, dass sie mir kaum glauben wollte, als ich mich dagegen entschied. Mrs. Crane hat bis zum heutigenTag ein kleines dreißigseitiges Notizbüchlein bei sich, in das sie mit großer Handschrift Wörter eingetragen hat, die sie täglich in ihren Briefen verwenden muss – Wörter, die eine Katze ohne Vorsagen oder Unterweisung buchstabieren könnte, und doch Wörter, die Mrs. Crane nie zu Papier zu bringen wagt, ohne jedes Mal sicherheitshalber in ihrer Vokabelliste nachzusehen.
    Im Jahr meiner Verlobung, vor siebenunddreißig Jahren, vergnügte sich eines Abends eine Gesellschaft junger Leute im Haus der Langdons mit dem Spiel »Verbarium«, das damals brandneu und sehr beliebt war. Es wurde ein Ausgangswort bestimmt, und jeder schrieb es in großen Buchstaben oben auf ein Blatt Papier und wartete dann mit dem Stift in der Hand darauf, dass es losging. Die Spieler sollten mit dem ersten Buchstaben des Wortes beginnen und innerhalb von zwei Minuten so viele Wörter wie möglich damit bilden. Dabei durften sie keinen Buchstaben verwenden, der nicht im Ausgangswort enthalten war, und keinen zweimal, es sei denn, auch im Ausgangswort kam der Buchstabe zweimal vor. Ich erinnere mich noch an die erste Runde des Spiels. Das Ausgangswort war
California.
Auf das Startsignal hin begann jeder, so schnell er seinen Bleistift bewegen konnte, Wörter aufzuschreiben –
corn, car, cone
und so weiter, wobei er die kürzesten Wörter zuerst hervorkramte, weil sie sich schneller schreiben ließen als die längeren. Nach Ablauf der zwei Minuten wurden die Treffer gezählt, und der Punkt ging an denjenigen, der die meisten Wörter gebildet hatte. Die guten Ergebnisse reichten von dreißig bis zu fünfzig oder sechzig Wörtern. Allein Mrs. Crane wollte ihre Wörter nicht herzeigen. Offenkundig zweifelte sie daran, dass sie den Punkt erhalten würde. Alle Überredungsversuche schlugen fehl, und so jagten wir sie, fingen sie und nahmen ihr den Zettel gewaltsam ab. Sie hatte nur ein Wort niedergeschrieben, und das war
calf
– das sie
caff
buchstabiert hatte. Nicht einmal dieses eine Wort hätte sie auf ehrliche Weise zustande bringen können – um es zu bilden, musste sie einen Buchstaben einführen, der im Ausgangswort gar nicht enthalten war.
    Dienstag, 6. Februar 1906
    Der Prinz und der Bettelknabe
wird aufgeführt – Scharade usw. gespielt
    Als Susy zwölfeinhalb Jahre alt war, bestieg ich nach langer Abwesenheit wieder die Rednertribüne und reiste zusammen mit George W. Cable vier Monate im Land umher. Eines Abends Anfang November gaben wir eine Lesung in der Chickering Hall in New York, und als ich in einer trüben Finsternis aus Nebel und Regen nach Hause ging, hörte ich einen unsichtbaren Mann zu einem anderen unsichtbaren Mann sinngemäß sagen: »General Grant hat tatsächlich beschlossen, seine Autobiographie zu schreiben.« Damals freute mich diese Bemerkung, doch wäre es für mich und die Meinen besser gewesen, wenn ich stattdessen vom Blitz getroffen worden wäre. Aber das ist eine lange Geschichte und dies nicht der richtige Ort dafür.
    Wie für alle Amerikaner war General Grant für Susy der größte Held, und sie sehnte sich danach, ihn aus nächster Nähe zu sehen. Eines Tages nahm ich sie zu ihm mit – aber lassen wir das. Das gehört woandershin. Irgendwann werde ich darauf zurückkommen.
    Mitten in unserer Lesereise kehrte ich aus dem

Weitere Kostenlose Bücher