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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Schriftsteller, Professoren und Geistliche –, werden Kinderohren schon früh mit einem breiten Wortschatz vertraut. Es ist nur natürlich, dass sie Wörter aufschnappen, die in ihrer Gegenwart fallen; es ist nur natürlich, dass sie große und kleine Wörter unbedacht aufschnappen; es ist nur natürlich, dass sie furchtlos jedes Wort verwenden, das ihnen ins Netz geht, so schwierig es sein mag, was seine Größe betrifft. Folglich ist ihre Redeweise ein wunderliches, lustiges Gewehrgeknatter kleiner Wörter, das in Abständen von dem Artilleriegedröhn eines Wortes von so imposantem Klang und Umfang unterbrochen wird, dass es den Boden zu erschüttern und an den Fenstern zu rütteln scheint. Manchmal missversteht das Kind ein Wort, das es zufällig aufgelesen hat, und misst ihm eine Bedeutung bei, die seine Nützlichkeit beeinträchtigt – doch geschieht das nicht so häufig, wie man erwarten würde. Im Gegenteil, es geschieht sogar ziemlich selten. Als Kind hatte Susy Glück mit ihren großenWörtern und benutzte viele davon. Sie machte nicht mehr Fehler, als es ihrem Alter entsprach. Einmal, als sie glaubte, etwas sehr Lustiges würde sich ereignen (was aber nicht geschah), konnte sie vor erwartungsvollem Lachen nicht mehr an sich halten. Offenbar war sie sich ihrer Meinung völlig sicher, denn sie sagte:
    »Wenn es passiert wäre, wäre ich vor Freude verzogen (verzückt) gewesen.« Und noch früher, als sie ein kleines Fräulein von fünf Jahren war, informierte sie einen Besucher, dass sie bisher nur einmal in einer Kirche gewesen sei, und zwar zu Claras »Traufe«.
    In Heidelberg, als sie sechs war, fiel ihr auf, dass es im Schlosspark –
    Du lieber Himmel, wie sich doch die entlegensten Dinge zusammenfügen! Ich breche den Satz ab, um anzumerken, dass ich gestern, bei einem Mittagessen in der Stadt, der Gastgeberin zu bedenken gab, dass sie mich nicht allen Gästen vorgestellt hatte. Sie sagte, ja, sie sei sich dessen bewusst – auf die Bitte einer der Damen habe sie es mir überlassen, die betreffende Dame von allein wiederzuerkennen; vor mehr als einem Vierteljahrhundert hätte ich sie einen Tag lang gekannt, und nun sei sie begierig herauszufinden, wie lange ich brauchen würde, um sie aus meinem Gedächtnis hervorzukramen. Die übrige Gesellschaft sei eingeweiht, man sei gespannt, ob es mir gelingen werde oder nicht. Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, dieser Frau niemals auf die Schliche zu kommen; endlich aber, als das Mittagessen fast vorbei war, setzte eine Diskussion darüber ein, wo das komfortabelste Hotel der Welt zu finden sei. Verschiedene Hotels auf verschiedenen Seiten des Ozeans wurden erwähnt, und schließlich erinnerte jemand sie daran, dass sie noch gar keine Vorlieben geäußert habe, man bat sie, das ihrer Ansicht nach zufriedenstellendste und komfortabelste Hotel auf dem Planeten zu benennen, und prompt antwortete sie: »Das ›Slosh‹ in Heidelberg.«
    Ich sagte wie aus der Pistole geschossen: »Ich freue mich aufrichtig, Sie nach all den Jahren wiederzusehen, Mrs. Jones – aber damals hießen Sie noch Miss Smith. Habe ich Sie?«
    »Ja«, sagte sie, »Sie haben mich.«
    Ich
wusste
, es war mir gelungen. An jenem Tag in Heidelberg, vor undenklichenZeiten, versuchten viele wohlmeinende Leute versteckt, die junge Miss Smith zur richtigen Aussprache von »Schloss« zu bewegen, indem sie jedes Mal leise und beiläufig »Schloss« sagten, wenn sie »Slosh« sagte, aber niemand vermochte sie zu bekehren. Und ich wusste sehr wohl, dass diese Frau jenes Fräulein Smith von damals war, denn es konnte auf diesem Planeten nicht zwei Menschen gleichzeitig geben, die fast eine Generation lang dieselbe fehlerhafte Aussprache beibehalten hätten.
    Was ich sagen wollte, bevor ich mich selbst unterbrach – in Heidelberg, als Susy sechs war, fiel ihr auf, dass es im Schlosspark von Schnecken nur so wimmelte, überall krochen sie herum. Eines Tages fand sie ein neues Gericht auf ihrem Teller vor, erkundigte sich, was es sei, und erfuhr, dass es sich um Schnecken handelte. Sie war erstaunt und beeindruckt und sagte:
    »Wilde, Mama?«
    Sie war fürsorglich und rücksichtsvoll – zweifellos erworbene Eigenschaften. Niemand scheint damit geboren zu sein. Eines heißen Tages zu Hause in Hartford, als sie noch ein kleines Kind war, borgte sich ihre Mutter mehrere Male ihren Fächer (einen japanischen Fächer, Wert fünf Cent), erfrischte sich ein, zwei Augenblicke lang und gab ihn ihr mit einem

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