Meine geheime Autobiographie - Textedition
Wort des Dankes zurück. Susy wusste, dass ihre Mutter den Fächer die ganze Zeit benutzen würde, wenn dies möglich wäre, ohne dass seine Besitzerin ihn entbehren müsste. Sie wusste auch, dass ihre Mutter dazu nicht überredet werden konnte. Irgendwie musste Abhilfe geschaffen werden; Susy schuf Abhilfe. Sie holte fünf Cent aus ihrer Sparbüchse, brachte sie Patrick und bat ihn, in die (anderthalb Meilen entfernte) Stadt zu gehen, einen japanischen Fächer zu kaufen und ihn nach Hause zu bringen. Das tat er auch – so rücksichtsvoll und zartfühlend wurde der Notfall behoben und der Komfort der Mutter gewährleistet. Es ehrt die Tochter, dass sie sich die Ausgabe nicht ersparte, indem sie von oben einen anderen, kostspieligeren Fächer herunterbrachte, sondern zufrieden war, dem Eindruck entsprechend zu handeln, dass ihre Mutter den japanischen wünschte – zufrieden war, ihr diesen Wunsch zu erfüllen und es dabei zu belassen, ohne sich darum zu sorgen, ob es klug war oder nicht.
Als sie noch ein Kind war, nahm ihre Redeweise manchmal drollige undauffallend ausdrucksvolle Formen an. Einmal – sie war neun oder zehn, ihre Schwester Jean noch ein Baby – kam sie ins Zimmer ihrer Mutter, sagte, Jean sei im Kinderzimmer am Weinen, und fragte, ob sie nach dem Kindermädchen klingeln solle. Ihre Mutter fragte:
»Weint sie denn heftig?« – womit sie ärgerlich, wütend meinte.
»Nein, Mama. Es ist ein sehr erschöpftes, einsames Weinen.«
Es ist eine Freude, mir verschiedene Vorfälle in Erinnerung zu rufen, die Zeugnis von genau dem Zartgefühl ablegen, das einen so beträchtlichen Teil ihres im Werden begriffenen Charakters ausmachte. Einmal kam ein solches Zeugnis auf eine Weise zustande, die zwar ihrem Herzen Ehre machte, in anderer Hinsicht aber fehlerhaft war. Damals stand sie in ihrem elften Lebensjahr. Ihre Mutter hatte die Weihnachtseinkäufe erledigt und erlaubte Susy, sich die Geschenke anzusehen, die für Patricks Kinder bestimmt waren. Darunter befand sich ein hübscher Schlitten für Jimmy, auf den ein Hirsch gemalt war und in goldenen Buchstaben das Wort »DEER«. Susy war ganz aufgeregt und freute sich über alles, bis sie den Schlitten sah. Da wurde sie ernst und verstummte – dabei war der Schlitten das kostbarste Geschenk von allen. Ihre Mutter war überrascht und auch enttäuscht, und sie fragte:
»Aber Susy, gefällt er dir denn nicht? Ist er nicht schön?«
Susy zögerte, offensichtlich wollte sie nicht sagen, was sie bedrückte. Doch als man sie drängte, brachte sie es stockend hervor:
»Mama, natürlich
ist
er schön, und natürlich
hat
er viel gekostet – aber – aber – warum muss man das erwähnen?«
Als sie merkte, dass man sie nicht verstand, zeigte sie widerstrebend auf das Wort »DEER«. 11 Schuld war nicht ihr Herz, sondern ihre Rechtschreibung. Beides hatte sie von ihrer Mutter geerbt.
Die orthographische Fähigkeit ist eine natürliche Begabung. Jemand, dem sie nicht angeboren ist, wird sie niemals vollkommen beherrschen. Ich habe immer korrekt schreiben können, während meine Frau und ihre Schwester, Mrs. Crane, in Rechtschreibung immer schwach waren. Einmal, als Clara noch ein kleines Ding war, war ihre Mutter für einige Tage von zu Hause weg, und Clara schrieb ihr jeden Tag ein paar Zeilen. Als ihre Mutter zurückkehrte,lobte sie Claras Briefe. Dann sagte sie: »Aber in einem, Clara, hast du ein Wort falsch buchstabiert.«
Clara erwiderte mit unbewusster Grausamkeit: »Aber Mama, woher weißt
du
das denn?«
Mehr als ein Vierteljahrhundert ist seitdem vergangen, und Mrs. Crane wohnt hier in New York für ein paar Tage unter unserem Dach. Ihr Haar ist grau geworden, aber sie ist noch genauso hübsch und einnehmend und liebenswert wie in jenen alten Zeiten auf ihrer Quarry Farm, wo sie ein Abgott war und wir anderen die Anbeter. Ihre Gabe mangelhafter Rechtschreibung ist unversehrt geblieben. Sie schreibt viele Briefe. Das war schon immer eine Leidenschaft von ihr. Wenn sie nicht jene unvergleichliche Orthographie aus ihrer Feder fließen sah, war sie nicht glücklich. Gestern fragte sie mich, wie man New Jersey buchstabiert, und als sie die Auskunft erhalten hatte, merkte ich an ihrem Blick, wie sehr sie bedauerte, nicht schon vor Jahren jemanden gefragt zu haben. Die Wunder, die sie und ihre Schwester, Mrs. Clemens, ohne Hilfe eines Wörter- oder Rechtschreibbuchs vollbringen konnten, sind unglaublich. Als ich im Jahr meiner Verlobung – 1869 – auf einer
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