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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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erlitt das Vermögen meines Vaters Schiffbruch. Er war als reichster Bürger von Fentress County geehrt und beneidet worden – denn abgesehen von seinem Landbesitz wurde er auf nicht weniger als dreitausendfünfhundert Dollar geschätzt –, doch plötzlich wachte er auf und stellte fest, dass sein Vermögen auf weniger als ein Viertel dieser Summe geschrumpft war. Er war ein stolzer Mann, schweigsam und gestreng, der nicht dazu neigte, auf dem Schauplatz seiner entschwundenen Größe zu verweilen und sich zur Zielscheibe öffentlichen Mitleids zu machen. Er packte seinen Haushalt zusammen, reiste viele anstrengende Tage durch einsamste Wildnis in den damaligen »Äußersten Westen« und schlug seine Zelte schließlich in dem kaum sichtbaren Städtchen Florida, Monroe County, Missouri, auf. Dort ging er mehrere Jahre lang seinen Geschäften nach, hatte aber kein Glück, außer dass ich geboren wurde. Daraufhin zog er nach Hannibal, brachte es zu einigem Wohlstand und zur Würde eines Friedensrichters und wurde Kandidat für den Posten des Amtsrichters, mit der sicheren Aussicht, gewählt zu werden, als jene Vorladung erging, der sich keiner entziehen kann. In den ersten Jahren seines Aufenthalts in Hannibal ging es ihm für damalige Verhältnisse leidlich gut, dann aber stellte ihm das Schicksal abermals ein Bein. Er erwies Ira —— den Freundschaftsdienst einer Bürgschaft, und Ira —— machte sich auf und davon und nutzte wohlüberlegt die Vorteile des neuen Bankrottgesetzes aus – eine Tat, die es ihm ermöglichte, sorglos und bequem zu leben, bis ihn der Tod abrief, meinen Vater hingegen ruinierte, ihn als verarmten Mann ins Grab beförderte und seine Erben dazu verdammte, mit der Welt einen langwierigen und entmutigenden Kampf um ihr Auskommen zu führen. Doch selbst auf dem Sterbebett hellte sich das Gesicht meines Vaters noch einmal auf, und er schöpfte neuen Mut, wenn er an das Land in Tennessee dachte. Er sagte, schon bald werde es uns alle reich und glücklich machen. Und in diesem Glauben starb er.
    Sogleich richteten sich unser aller Augen erwartungsvoll auf Tennessee. Dreißig Jahre lang haben wir dorthin geblickt, auf all unseren Irrfahrtendurch Höhen und Tiefen, über die dazwischenliegenden Kontinente und Ozeane hinweg, und selbst heute noch blicken wir auf denselben Fixpunkt mit einer Hoffnung, die alter Gewohnheit entspringt, und einem Glauben, der wächst und schwindet, doch niemals stirbt.
    Nach dem Tod meines Vaters ordneten wir unsere häuslichen Angelegenheiten neu, aber nur provisorisch, denn wir beabsichtigten, sie dauerhaft zu ordnen, wenn das Land verkauft wäre. Mein Bruder lieh sich fünfhundert Dollar und erwarb eine wertlose Wochenzeitung, da er wie wir alle glaubte, es lohne nicht, irgendetwas Ernsthaftes in Angriff zu nehmen, bevor das Land nicht veräußert wäre und wir uns auf etwas Vernünftiges einlassen könnten. Zunächst mieteten wir ein großes Haus, in dem wir leben wollten; der Verkauf aber, mit dem wir fest gerechnet hatten, kam nicht zustande (der Mann wollte nur einen Teil des Landes, und wir besprachen die Sache und beschlossen, entweder alles oder nichts zu veräußern), und so mussten wir in ein billigeres umziehen.
    [Frühe Jahre in Florida, Missouri]
    Erstes Kapitel
    Ich wurde am 30. November 1835 in dem fast unsichtbaren Flecken Florida, Monroe County, Missouri, geboren. Ich vermute, dass Florida weniger als dreihundert Einwohner hatte. Es gab zwei Hauptstraßen, jede ein paar hundert Meter lang; die übrigen Straßen waren nichts als schmale Wege mit Bretterzäunen und Maisfeldern zu beiden Seiten. Beide Hauptstraßen sowie die Wege waren mit demselben Material befestigt – zähem schwarzem Schlamm in der nassen Jahreszeit, dichtem Staub in der trockenen.
    Die meisten Häuser waren aus Holz – eigentlich alle bis auf drei oder vier, die Rahmenhäuser waren. Häuser aus Ziegel oder aus Stein gab es nicht. Es gab eine Holzkirche mit einem besonderen Bretterboden und mit Schwartenbänken. Ein solcher Bretterboden besteht aus Holzklötzen, deren nach oben liegende Seite mit der Zimmermannsaxt geglättet wurde. Die Ritzenzwischen den Holzklötzen waren nicht ausgefüllt; es gab keinen Teppich; wenn man also einen Gegenstand, kleiner als ein Pfirsich, fallen ließ, rutschte er mit ziemlicher Sicherheit durch die Ritzen. Die Kirche stand auf niedrigen Holzklötzen, die sie knapp einen Meter über den Erdboden hoben. Darunter schliefen die Schweine, und wenn die

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