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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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bedurften wir tatsächlich. Mr. Jones und Charley sind die einzigen Weißen hier. Behandelten uns vorzüglich. Verabreichten uns erst einen Teelöffel Schnaps mit Wasser, dann jedem von uns eine Tasse warmen Tee und etwas Brot. Gaben sich
alle
Mühe mit uns. Reichten uns später noch eine Tasse Tee – und mehr Brot – und ließen uns dannschlafen gehen.
Es ist der glücklichste Tag meines Lebens
… Gott in Seiner Barmherzigkeit hat unser Gebet erhört … Alle sind so freundlich … Man kann es mit Worten nicht ausdrücken –
    16
.
Juni
. Mr. Jones gab uns ein herrliches Bett, und wir konnten uns ordentlich ausruhen – wenn auch nicht schlafen –, wir waren zu glücklich, um zu schlafen; wollten die Wirklichkeit festhalten und nicht zulassen, dass sie sich in eine Illusion verwandelte – hatten Angst, wir könnten aufwachen und uns im Boot wiederfinden …

    Es ist ein erstaunliches Abenteuer. Es gibt in der Geschichte kein zweites, das es darin übertrifft, Unmögliches möglich gemacht zu haben. In einem außergewöhnlichen Detail – dem Überleben
jeder einzelnen Person
im Boot – steht es in der Geschichte von Abenteuern dieser Art vermutlich einzigartig da. Normalerweise überlebt nur ein Teil der Gesellschaft an Bord – in der Hauptsache Offiziere und andere gebildete und zart erzogene Männer, die Mühsal und harte Arbeit nicht gewohnt sind; die ungebildeten, rau erzogenen harten Arbeiter halten nicht stand. In diesem Fall jedoch ertrugen die Robustesten und Rauesten die Entbehrungen und das Elend der Fahrt fast ebenso gut wie die beiden Brüder, die das College besucht hatten, und der Kapitän. Physisch, meine ich. Der Geist der meisten dieser Matrosen brach schon in der vierten Woche zusammen und war zeitweilig ganz zerstört, doch physisch war das Durchhaltevermögen, das sie an den Tag legten, frappierend. Natürlich überlebten die Männer nicht durch ihr eigenes Verdienst, sondern durch das Verdienst des Kapitäns, seinen Charakter und seine Intelligenz – sie überlebten aufgrund der Überlegenheit seines Geistes. Ohne ihn wären sie gewesen wie Kinder ohne eine Amme; sie hätten ihren Proviant binnen einer Woche aufgezehrt, und ihr Mut hätte nicht einmal so lange wie ihr Proviant gereicht.
    In letzter Minute drohte das Boot auch noch zu kentern. Als es sich dem Ufer näherte, ließen sie das Segel los, und es stürzte herab; da sah der Kapitän, dass sie schnell auf ein tückisches Riff zutrieben, und sie unternahmen einen Versuch, das Segel wieder zu hissen, aber es gelang ihnen nicht, die Kräfte der Männer waren völlig erschöpft; sie konnten nicht einmal mehrdie Riemen bewegen. Sie waren hilflos, und der Tod stand ihnen unmittelbar bevor. In diesem Augenblick wurden sie von den beiden Kanaken entdeckt, die die Rettung einleiteten. Sie schwammen hinaus, bemannten das Boot und lotsten es durch einen engen und kaum bemerkbaren Durchlass im Riff – den einzigen Durchlass auf einer Strecke von fünfunddreißig Meilen! Die Stelle, an der sie landeten, war die einzige auf dieser Strecke, wo man am Ufer Halt finden konnte – überall sonst fiel der Felshang steil ab, bis zu vierzig Faden Wassertiefe. Zudem war es auf der ganzen Strecke der einzige Ort, wo überhaupt jemand lebte.
    Innerhalb von zehn Tagen nach der Landung waren alle Männer bis auf einen wieder auf den Beinen und konnten sich bewegen. Wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätten sie – zumindest einige von ihnen – an der »Nahrung« der letzten Tage zugrunde gehen müssen, Männer, die ihre Mägen mit Lederstreifen von alten Stiefeln und Holzspänen vom Butterfass belastet hatten, eine Belastung, von der sie sich nicht mittels Verdauung befreiten, sondern auf anderem Wege. Der Kapitän und die beiden Passagiere hatten die Lederstreifen und die Holzspäne nicht wie die Seeleute verzehrt, sondern Stiefelleder und Holz
abgeschabt
und, indem sie sie mit Wasser befeuchteten, einen Brei angerührt. Der Dritte Maat erzählte mir, die Stiefel seien alt und löchrig gewesen, und fügte dann nachdenklich hinzu: »Aber die Löcher ließen sich am besten verdauen.« Da wir gerade von Verdauung sprechen, hier ist ein bemerkens- und erwähnenswerter Vorgang: Während dieser merkwürdigen Reise und für eine Weile danach stellte der Darm der Männer seine Tätigkeit so gut wie ganz ein; in einigen Fällen fand zwanzig oder dreißig Tage, in einem Fall sogar vierundvierzig Tage lang keine Darmtätigkeit statt! Auch Schlaf

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