Meine geheime Autobiographie - Textedition
stellte sich nur selten ein. Allerdings erholten die Männer sich auch ohne Schlaf. Der Kapitän konnte viele Tage – ich glaube, einundzwanzig Tage – hintereinander überhaupt nicht schlafen.
Nach ihrer Landung wurden die Männer erfolgreich daran gehindert, sich zu überessen, alle außer dem Portugiesen; dieser entkam den wachsamen Augen und verzehrte eine unglaubliche Menge Bananen; hundertzweiundfünfzig Stück, sagte der Dritte Matt, aber das war bestimmt eine Übertreibung;ich glaube, es waren nur hunderteinundfünfzig. Er war fast randvoll mit Leder – es kam ihm zu den Ohren heraus. (Bei dieser Aussage berufe ich mich nicht auf den Dritten Maat, denn wir haben gesehen, was das für ein Mensch war; ich berufe mich auf mich selbst.) Selbstverständlich hätte der Portugiese daran verenden müssen, und noch heute finde ich es schade, dass er nicht gestorben ist; aber er gesundete, und zwar genauso rasch wie alle anderen, und das, obwohl er voller Leder war, voller Holz vom Butterfass, voller Taschentücher und Bananen. Einige der Männer hatte in jenen letzten Tagen tatsächlich Taschentücher gegessen und auch Socken; er war einer von ihnen.
Es gereicht den Männern zur Ehre, dass sie den Hahn nicht getötet hatten, der allmorgendlich so tapfer krähte. Er lebte achtzehn Tage lang, dann erhob er sich, streckte den Hals und unternahm einen letzten tapferen und schwachen Versuch, noch einmal seine Pflicht zu tun, und dabei starb er. Es ist ein malerisches Detail; ebenso der Regenbogen – der einzige, den sie in dreiundvierzig Tagen gesehen hatten –, der seinen Triumphbogen am Himmel errichtet hatte, auf dass die rüstigen Krieger unter ihm hindurch zu Sieg und Rettung segelten.
Mit Proviant für zehn Tage vollbrachte Kapitän Josiah Mitchell diese denkwürdige Fahrt von dreiundvierzig Tagen und acht Stunden in einem offenen Boot, segelte insgesamt viertausend Meilen, davon dreitausenddreihundertsechzig auf geradem Kurs, und brachte jeden Mann sicher an Land. Ein hellsichtiger, schlichter, bescheidener, mutiger und höchst geselliger Mann. Achtundzwanzig Tage lang spazierte ich – wenn ich nicht gerade Tagebücher kopierte – mit ihm auf Deck umher, und ich denke an ihn mit ehrerbietiger Achtung. Falls er noch am Leben ist, zählt er inzwischen sechsundachtzig Jahre.
Wenn ich mich recht erinnere, starb Samuel Ferguson, kurz nachdem wir San Francisco erreicht hatten. Ich glaube nicht, dass er lange genug lebte, um seine Heimat wiederzusehen; zweifellos hatte ihn, als er diese verließ, seine Krankheit bereits zum Sterben verurteilt.
Eine Zeitlang hoffte man, in Kürze von den beiden Rettungsbooten zu hören, doch diese Hoffnung zerschlug sich. Ohne Zweifel waren sie mitMann und Maus untergegangen. Nicht einmal der ritterliche Erste Maat wurde verschont.
Die Verfasser der Tagebücher wollten die Aufzeichnungen ein wenig glätten, bevor sie mir erlaubten, sie zu kopieren, aber dazu bestand keine Veranlassung, und ich konnte es ihnen ausreden. Die Tagebücher sind auf eine feine Art bescheiden und unverstellt; und dank unbewusster und unbeabsichtigter Kunstfertigkeit steigern sie sich zum Höhepunkt hin mit gestaffelter zunehmender Kraft und Bewegung, mit dramatischer Intensität, mit wachsender Eile reißen sie einen mit, und wenn endlich der Ruf »Land in Sicht!« erschallt, klopft einem das Herz im Halse, und für einen Moment glaubt man, man selbst sei es, der gerettet wurde. Die beiden letzten Abschnitte lassen sich durch niemandes Geschick verbessern; sie sind literarisches Gold, und selbst die Pausen, die unvollständigen Sätze tragen in sich eine Beredsamkeit, wie Worte sie nicht bewirken können.
Das Interesse an dieser Geschichte ist unstillbar; sie ist von jener Art, der die Zeit nichts anhaben kann. Zweiunddreißig Jahre lang habe ich nicht in diese Tagebücher geschaut, aber ich finde, dass sie in dieser Zeit nichts an Faszination verloren haben. Verloren? Sie haben hinzugewonnen; denn einem hintergründigen Gesetz zufolge gewinnen alle tragischen Erlebnisse des Menschen mit zeitlichem Abstand an Pathos. Wir sind uns dessen bewusst, wenn wir in Neapel gedankenversunken vor der armen Mutter aus Pompeji stehen, die in jenem historischen Sturm vulkanischer Asche vor achtzehn Jahrhunderten verschüttet wurde und jetzt daliegt, das Kind, das sie zu retten versuchte, eng an die Brust gepresst. Ihre Verzweiflung und ihr Leid sind für uns durch die Lavahülle bewahrt worden, die sie das Leben
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