Meine geheime Autobiographie - Textedition
jedenfalls scheint Er uns in allem, was wir tun, beizustehen und hat uns wundersamerweise dieses Boot erhalten; denn seit wir das Schiff verließen, haben wir weit über dreitausend Meilen zurückgelegt, was, wenn man unsere kargen Vorräte bedenkt, fast beispiellos ist. Noch finde ich den Mangel an Nahrung nicht so schlimm wie den Mangel an Wasser. Selbst Henry, der von Natur aus ein starker Wassertrinker ist, kann von Zeit zu Zeit auf die Hälfte seiner Ration verzichten, was ich nicht kann. Vielleicht hat mein kranker Hals damit zu tun.
Inzwischen ist nichts mehr übrig, was sich als Nahrung schönreden ließe. Aber sie müssen weitere fünf Tage durchhalten, denn mittags liegen noch achthundert Meilen vor ihnen. Jetzt ist es ein Wettlauf ums Überleben.
Dies ist nicht der Ort für Bemerkungen oder andere Einschübe von meiner Seite – jeder Augenblick ist kostbar. Ich will das Tagebuch des jüngeren Bruders aufgreifen, das Meer vor ihm von allen Hindernissen befreien und ihn drauflossegeln lassen.
HENRY FERGUSONS TAGEBUCH
Sonntag, 10. Juni
. Unser Schinkenknochen hat uns heute eine Ahnung von Nahrung gegeben, für morgen haben wir noch etwas Fleisch und den Rest des Knochens übrig. Gewiss hat es nie einen köstlicheren Knochen gegeben oder einen, der so gründlich genossen wurde. *** Ungeachtet unserer eingeschränkten Diät kann ich nicht sagen, dass ich mich schlechter fühle als am vergangenen Sonntag; und ich vertraue darauf, dass uns allen genügend Kraft gegeben ist, die Leiden und Entbehrungen der kommenden Woche zu ertragen. Wir schätzen, dass wir etwa siebenhundert Meilen von den Sandwichinseln entfernt sind und unsere tägliche Fahrtstrecke im Durchschnitt bei etwas über hundert Meilen liegt, so dass unsere Hoffnung auf Vernunft gründet. Gebe der Himmel, dass wir alle am Leben bleiben, um Land zu sehen!
11
.
Juni
. Haben Fleisch und Schwarte unseres Schinkenknochens verzehrt und für morgen nur noch den Knochen und das fettige Tuch übrig, in das er geschlagen war. Möge Gott uns Vögel oder Fisch schicken und uns nicht Hungers sterben lassen oder uns der entsetzlichen Alternative aussetzen, uns an Menschenfleisch gütlich zu tun! So wie ich jetzt empfinde, glaube ich nicht, dass mich irgendetwas dazu bringen könnte; aber man weiß nie, was man tun wird, wenn man von Hunger gezeichnet ist und den Geist schweifen lässt. Ich hoffe und bete, dass es uns gelingen möge, die Inseln zu erreichen, bevor wir in die Enge getrieben werden; aber wir haben ein, zwei verzweifelte Männer an Bord, selbst wenn sie sich jetzt noch ruhig verhalten.
Es ist meine feste Zuversicht und mein fester Glaube, dass wir
gerettet werden
.
Alle
Nahrung verbraucht. –
Logbuch des Kapitäns
. 31
12. Juni
. Eine steife Brise, und wir fliegen nachgerade auf die Inseln zu – immer vor dem Wind. Guter Hoffnung, aber die Aussicht auf noch ärgeren Hunger ist entsetzlich. Habe heute Schinkenknochen gegessen. Der Kapitän hat Geburtstag – er wird vierundfünfzig Jahre alt.
13
.
Juni
. Das Tuch, in das der Schinken eingeschlagen war, ist noch nicht ganz aufgegessen, und die Stiefelschäfte sind, wenn das Salz erst einmal heraus ist, sehr schmackhaft, wie wir finden. Etwas Tabak würde mir guttun, denke ich; aber ich weiß es nicht.
14
.
Juni
. Der Hunger peinigt uns nicht sonderlich, aber wir sind schrecklich schwach. Unser Wasser geht zur Neige. Gebe Gott, dass wir bald Land sehen!
Nichts zu essen
– fühle mich aber besser als gestern. Gegen Abend einen prächtigen Regenbogen gesehen –
den ersten, den wir zu Gesicht bekamen
. Der Kapitän sagte: »Jungs, seid guten Mutes, das ist ein Zeichen –
es ist der Regenbogen der
Verheißung!
«
15
.
Juni
. Gott sei gepriesen für Seine unendliche Barmherzigkeit!
Land in Sicht!
Haben uns rasch genähert und waren uns bald
sicher
… Zwei edle Kanaken kamen herbeigeschwommen und zogen das Boot an Land. Wir wurden voller Jubel von zwei Weißen – Mr. Jones und seinem Verwalter Charley – und einer Menge eingeborener Männer, Frauen und Kinder empfangen. Sie behandelten uns wunderbar – halfen uns und trugen uns die Böschung hinauf und brachten uns Wasser, Poi, Bananen und grüne Kokosnüsse; aber die Weißen nahmen sich unser an und hinderten uns daran, zu viel auf einmal zu essen. Alle waren überglücklich, uns zu sehen, und ihre ganze Anteilnahme drückte sich in Mienenspiel, Worten und Taten aus. Dann half man uns hinauf zum Haus; und dieser Hilfe
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