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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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in der Mitte auf.
    Ich will nicht leugnen, dass meine Gefühle sich auf vierzig Grad im Schatten erhitzten:
    »Was für ein Unsinn! Dass dieses langohrige Tier – diese literarische Beutelratte – dieser Bastard der Musen – dieser des Schreibens unkundige Stallknecht mit seinem Schädel voller Achsenfett – dieser …«
    Doch an diesem Punkt hielt ich inne, denn das war kein christlicher Geist.Ich unterzog mich einer einstündigen Beruhigungsmeditation, daraufhin brachte ich die genotzüchtigte Einleitung zu dem oben erwähnten Freund und zeigte sie ihm. Er blätterte sie durch, dann brach er erneut in jenes perfide Gelächter aus, das ihn so verunstaltete.
    »Wusst ich’s doch!«, sagte er – als wäre er befriedigt. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass er sogar Shakespeare lektorieren würde?«
    »Ja, ich weiß; aber ich habe nicht gedacht, dass er
mich
lektorieren würde
.
«
    »Ach, haben Sie nicht? Nun, da sehen Sie mal, dass er selbst
dazu
in der Lage ist
.
Ich sage Ihnen, die Pietätlosigkeit dieses Mannes kennt keine Grenzen.«
    »Jetzt weiß ich es«, sagte ich.
    »Nun, was werden Sie tun? Darf er die Einleitung verwenden – ob lektoriert oder nicht?«
    »Natürlich nicht.«
    »Das ist gut. Endlich nehmen Sie wieder Vernunft an. Aber was werden Sie tun? Sie werden doch wohl nicht klein beigeben, oder? Werden Sie ihm einen Brief schreiben und ihm die Leviten lesen?«
    »Nein. Einen Brief werde ich ihm schreiben, aber nicht in diesem Geiste, will ich hoffen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil er mir einen Gefallen tun wollte, und ich hoffe, ich bin nicht der Mann, der es ihm auf diese Weise vergilt.«
    Der Freund musterte mich eine Weile nachdenklich, dann sagte er:
    »Mark, ich schäme mich für Sie. Das ist reine Schulmädchensentimentalität. Sie sollten ihn verprügeln – und das wissen Sie.«
    Ich erwiderte, ich hätte keine derartigen Gefühle in meinem Herzen und würde in meinem Brief nichts dergleichen schreiben.
    »Ich werde ihn sanft und mit der nicht kränkenden Sprache der Überredung auf seine Fehler hinweisen. Viele literarische Anfänger sind von einem mutwillig geäußerten lieblosen Wort entmutigt und besiegt worden; von mir wird er ein solches nicht hören. Es ist christlicher, einen guten Dienst zu erweisen als einen schlechten; und Sie sollten mich in meiner Haltung bestärken und nicht über sie spotten. Dieser Mann wird nicht mein Feind sein; ich werde einen beständigen und dankbaren Freund aus ihm machen.«
    Ich spürte, dass ich im Recht war; zufrieden ging ich nach Hause, begann den Brief und hatte Freude an meiner Arbeit, denn ich genoss die Ermunterung und Unterstützung eines zustimmenden Gewissens.
    Der Brief wird an der richtigen Stelle in diesem Kapitel meiner Autobiographie zu finden sein.
    Die »lektorierte« Einleitung
    JOHANNA VON ORLÉANS
ˆ>Jeanne d’Arcˆ
    I
    1. Die Aussagen, die bei den ˆin ihremˆ Prozess en und der ˆihrerˆ Rehabilitierung gemacht wurden, haben uns die Geschichte der Johanna von Orléans ˆJeanne d’Arcˆ in klaren und minutiösen Einzelheiten veranschaulicht. Unter der Vielzahl von Biographien, die die Regale der Bibliotheken der Welt beschweren, ist diese die einzige, deren Gültigkeit mit einem Eid bekräftigt ist. Sie gibt uns das lebhafte Bild einer Laufbahn und einer Persönlichkeit von so außergewöhnlichem Charakter, dass wir sie ˆbeideˆ als Tatsache akzeptieren, weil beide ˆsieˆ sich dem Zugriff erfindungsreicher Fiktion ˆgänzlichˆ entziehen. Der öffentliche Teil der ˆIhre öffentlicheˆ Laufbahn nahm nur einen winzigen Augenblick ein – ˆnurˆ zwei Jahre; aber was für eine Laufbahn! Die Persönlichkeit, die sie möglich machte, muss ehrfürchtig studiert, geliebt und bestaunt werden, wird sich aber selbst bei tiefschürfendster Analyse nie ganz verstehen und erklären lassen.
    2. In der ˆDieˆ sechzehnjährige n Johanna von Orléans ˆJeanne d’Arcˆ zeigte sich keinˆerleiˆ Anzeichen von Romantik. Sie lebte in einem verschlafenen kleinen Dorf an den Grenzen der Zivilisation; sie war nirgends gewesen und hatte nichts gesehen; sie kannte niemanden als einfache Schäfersleute; sie hatte nie einen Menschen von Bedeutung gesehen; sie wusste kaum, wie ein Soldat aussah; sie hatte weder auf einem Pferd gesessen noch eine kriegerische Waffe in der Hand gehalten; sie konnte weder lesen noch schreibenˆ.ˆ ; s ˆSˆie konnte spinnen und nähen, sie kannte ihren Katechismusˆ,ˆ und ihre Gebeteund die ˆeinigeˆ Heiligenlegenden,

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