Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
Vom Netzwerk:
mich.«
    Mit dieser Bemerkung machte uns unser alter Hausarzt Dr. Taft in Hartford vertraut, doch seinem verwahrlosten Nachfolger konnten wir sie nie entlocken. Vor acht Jahren (1895) kehrte ich aus Europa zurück und fuhr geradewegs nach Elmira, N. Y. Als ich an jenem Abend (26. Mai) in der Badewanne saß, entdeckte ich an der Außenseite meines Backbordschenkels einen runden, flachen rosa Fleck von der Größe eines Zehncentstückes. Am nächsten Morgen zogen wir auf den East Hill und riefen von unten einen Arzt (Theron Wales), der sagte, es sei ein beginnender Karbunkel. Er fing an, ihn zu behandeln. Und er fing an zu reden. Um ihn selbst reden zu lassen: Der Karbunkel sei stets Herr über die Menschheit gewesen, bis er durch Gottes Gnade zum Mitglied derselben geworden sei. Dann sang er die lange Liste seiner Siege, Karbunkel für Karbunkel, nannte in jedem der Fälle den Eigentümer, die Körperstelle, wo der Karbunkel sich niedergelassen hatte, und die glorreichen Methoden, mit deren Hilfe er den Karbunkeln ein glückliches und spektakuläres Ende bereitet habe. Er war, von Natur und aus eigenem Zutun, ein ziemlich stumpfsinniger Mann, aber ein alter Freund der Verwandtschaft, und so musste ich ihn ertragen, obwohl ich Ihnen versichern kann, dass ich, vor die Wahl gestellt zwischen seiner Gesellschaft und der des Karbunkels, dem Karbunkel jedes Mal den Vorzug gegeben hätte. Er hatte das besondere Merkmal aller Ärzte mit begrenztem Patientenkreis, die ich je gekannt habe: Er war weitschweifig, einfältig und gewöhnlich, ein ausdauernder geisttötender Langweiler, der sich selbst gern reden hörte.
    Trotz der Erfahrung, mit der er prahlte, wusste er über Karbunkel auch nicht mehr als unsere alte Köchin, Tante Cord, eine ehemalige Sklavin, und mit meinem tat er nichts, was sie nicht ebenso gut oder besser hätte tun können. Er applizierte jenes uralte Heilmittel, eine Scheibe gepökeltes Schweinefleisch, und schaute, solange diese ihre Arbeit verrichtete, täglich vorbei. Vermutlich um ihr dabei zuzusehen; die Katze wäre ebenso wirksam vorgegangen, die Köchin ohnehin – und gratis obendrein. Dann schnitt er den Karbunkel auf und schaute dreißig weitere Tage lang vorbei; manchmal, um die Wunde zu reinigen – was genauso gut die Köchin hätte besorgen können –, meist aber aus keinem ersichtlichen Grund, es sei denn, um mich mit seinen zweistündigen Visiten und seinen eintönigen Gesprächen zu ermüden. So viele dieser Visiten waren ohne jeden beruflichen Zweck, so dass ich sie als Höflichkeitsbesuche auffasste, andernfalls hätte ich ihn entlassen.
    Nicht nur stellte er mir jeden dieser abscheulichen Besuche in Rechnung, darüber hinaus kassierte er von mir ein Drittel mehr, als er von einem Ortsansässigen kassiert hätte. Dieses Detail – diese Räuberei – fand ich erst vor sechs Monaten heraus.
    Dieser Einbrecher hat seine Gewohnheit beibehalten – Besuche abzustatten, die die Leute für Gesellschaftsbesuche halten, wenn seine beruflichen Dienstleistungen nicht länger benötigt werden, und Geld für diese Besuche zu verlangen, sobald die argwöhnisch gewordene Familie ihm einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben hat und ihn losgeworden ist.
    Meinen Karbunkel hat er nicht geheilt. Fünfundvierzig Tage lang wachte er darüber wie ein zärtlicher, doch unwissender Karbunkel-Engel, dann brach ich mit meiner Familie zu einer landesweiten Reise auf. Dreiundzwanzig Tage lang hielt ich jeden Abend einen Vortrag, jeden Abend musste der Hohlraum, den der Karbunkel hinterlassen hatte, gereinigt und verbunden werden, endlich war die Wunde verheilt, und in Vancouver konnte ich das Schiff ohne fremde Hilfe besteigen.
    Karbunkel, wenn sie von Kurpfuschern behandelt werden, haben Familien. Der erste Sohn meines Karbunkels wurde auf See geboren und in Sydney geöffnet. Der zweite wurde in Melbourne geboren, aber dort gab es einen richtigen Arzt – FitzGerald – mit einer riesigen Praxis, und der versprach, ihnbinnen vierundzwanzig Stunden zu heilen. Er hielt Wort; außerdem brachte er uns seine Künste bei, und den Rest der Familie zermalmten wir einen nach dem anderen, sobald sie in Erscheinung traten. Nur einer von ihnen überlebte zwei Tage. Der Karbunkelexperte in Elmira berechnete mir für die halbe Heilung eines Karbunkels $ 135. Hätte ich nicht zu meiner Vortragstour aufbrechen müssen, würde er bis heute für Nachkommen dieses einen sorgen.
    Der Blutsauger von Elmira wusste, dass ich Schulden geerbt

Weitere Kostenlose Bücher