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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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der Hölle, nicht im Himmel.
    [Etwas über Ärzte]
    Ich war sieben Jahre alt, als ich kurz davor stand, in den Himmel zu kommen. Ich weiß nicht, warum ich nicht in den Himmel kam; ich war darauf vorbereitet. Es war die Gewohnheit. In diesen sieben Jahren war ich lange Zeit krank gewesen, und natürlich hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, vorbereitet zu sein. Damals bestand Religion fast ausschließlich aus Feuer und Schwefel, und das war Grund genug, vorbereitet zu sein, ein Grund, den außer den ganz Gedankenlosen niemand ignorierte. Um ehrlich zu sein, muss ich zugeben, dass ich ihn mitunter selbst ignorierte; das geschah aber nur, wenn ich wohlauf war. Ich weiß nicht mehr, was für eine Krankheit es war, die mich damals aus dem Leben zu reißen drohte, aber ich weiß noch, was sie besiegte. Es war eine halbe Teetasse Rizinusöl – pur. Das heißt ohne Sirup oder andere Geschmacksverbesserer. Viele nahmen ihr Öl mit Sirup ein, aber zu denen gehörte ich nicht. Vielleicht wusste ich, dass nichts das Öl genießbar machen würde, denn ich hatte reichlich Erfahrungen gesammelt; meinerzeit hatte ich ganze Fässer Rizinusöl getrunken. Nein, nicht Fässer, Fässchen; Übertreibungen wollen wir auf einen passenderen Zeitpunkt und Gegenstand verschieben.
    Das Rizinusöl rettete mich. Ich lag im Sterben, die Familie hatte sich zur Trauerfeier eingefunden; sie war es gewohnt, ich auch. Ich war in dieser Star-Rolleschon so viele Male aufgetreten, dass ich, obwohl noch so jung, in jeder Phase wusste, was ich zu tun hatte, auch ohne Proben; und sie – sie hatten die Nebenrollen schon so oft gespielt, dass sie sie im Schlaf beherrschten. Tatsächlich schliefen sie oft ein, wenn ich im Sterben lag. Zuerst war ich gekränkt, später aber störte ich mich nicht mehr daran, sondern ließ jemanden kommen, der sie wach rüttelte, und fuhr dann mit meiner Darbietung fort. Ich sehe uns noch heute vor mir.
    Damals war Dr. Meredith unser Hausarzt; wahrscheinlich war er, um sich meine Kundschaft zu sichern, ungefähr zur selben Zeit wie wir aus dem Weiler Florida in das Dorf Hannibal gezogen. Nein, das kann der Grund nicht gewesen sein; ich habe bereits gesagt, dass Ärzte in jener frühen geologischen Periode jahrweise bezahlt wurden und die Arzneien selbst bereitstellten; folglich hätte er meine Kundschaft nicht sonderlich geschätzt, sofern er bei Verstand war. Vermutlich versuchte er des Öfteren, mich umzubringen; das wäre nur natürlich gewesen, denn er musste eine Familie ernähren und war ein Mann von sicherem Urteil und lauteren Absichten, doch Erfolg hatte er kein einziges Mal. Es war eine Ironie des Schicksals, dass mich sein Sohn Charles in letzter Minute aus dem Bear Creek fischte, als mein Leben von Rechts wegen hätte enden müssen. Er lächelte nie wieder.
    Man bedenke die Klugheit und Gerechtigkeit dieser althergebrachten Sitte – den Arzt jahrweise zu bezahlen. Man bedenke, was für eine Schutzmaßnahme sie war, sowohl für den Lebensunterhalt und die Selbstachtung des Arztes wie für die Gesundheit der Familie. Der Arzt bezog ein regelmäßiges gesichertes Einkommen, und das war für ihn von Vorteil; wenn niemandem etwas fehlte, war die Familie gegen seine Übergriffe gefeit, und das war weiß Gott von Vorteil für die Familie.
    Man betrachte den Unterschied zwischen damals und heute. Was ist der allgemein übliche Brauch eines Arztes mit begrenztem Patientenkreis? Dies: Er kommt wieder und wieder ins Haus, lange nachdem der Patient aufgehört hat, ihn zu benötigen – und für jeden Hausbesuch berechnet er eine Gebühr. Fast immer – das »fast« könnte ich mit einiger Berechtigung auslassen – müssen Sie der unangenehmen Pflicht nachkommen, ihn zu entlassen, wollen Sie ihn loswerden. Folglich haben Sie Angst, ihn das nächste Mal zurufen, und schieben es hinaus, solange Sie können, ohne den Kranken zu gefährden.
    Ich erhebe diesen Vorwurf mit Bedacht. Ich berufe mich auf vier Quellen: meine eigenen Erfahrungen, die Erfahrungen von Freunden, die Aussagen angesehener New Yorker und Londoner Ärzte (hitzige Worte!) sowie die Leitartikel in medizinischen Fachzeitschriften. Ihr Arzt weiß, dass Sie Angst haben, ihn zu entlassen, falls sich herausstellen sollte, dass Sie es zu früh getan haben; aus dieser Angst zieht er einen anrüchigen Vorteil.
    Der vielbeschäftigte Arzt kommt nicht öfter, als er muss. Sobald es ungefährlich ist, wird er sagen: »Ich werde nicht wiederkommen, es sei denn, Sie rufen

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