Meine geheime Autobiographie - Textedition
und schönes Gesicht, makellos in allen Details, und schöne und makellose Hände; wenn
das Bild mir gehörte, würde ich nie eine Unterrichtsstunde in Kunst nehmen, damit es
für mich seine ganze vollendete und befriedigende Vollkommenheit nicht
einbüßt.
Die
Gräfin ist zwei, drei Jahre über die vierzig, und aus dem im ganzen Haus verteilten
großzügigen Vorrat an Bildern und Fotos kann man ersehen, dass sie früher einmal
anmutig und zeitweise durchaus hübsch gewesen sein muss. Inzwischen schminkt sie
sich das Gesicht und färbt sich das Haar und versucht auch mit anderen Mitteln, die
Tradition dieser vergangenen Tage zu bewahren; allerdings trägt sie etwas in sich,
was die größten Anstrengungen der Kunst und alle Versuche, ihre äußere Erscheinung
in zufriedenstellendem Zustand zu halten, zunichtemacht. Dieses innere Etwas ist
ihre Wesensart, ihre Charakteranlage. Sie ist reizbar, arglistig, heimtückisch,
rachsüchtig, nachtragend, eigennützig, geizig, habgierig, ungeschliffen,
geschmacklos, ruchlos, unflätig, eine wütende Furie nach außen und im Herzen ein
Feigling. Ihre Lippen sind mit Lügen, Täuschungen, Betrügereien und Verrätereien so
vertraut wie ihre Nasenlöcher mit Atem. In Florenz hat sie keine einzige Freundin,
sie wird in keinem Haus empfangen. Ich glaube, sie ist der meistgehasste Mensch, den
ich je gekannt habe, und der am tiefsten verachtete. Von Natur aus ist sie eine
Unterdrückerin, eine Ausnutzerinnoch des kleinsten Vorteils.
Sie wird von jedem Bauern und jedem anderen Menschen auf dem Anwesen und in der
Nachbarschaft gehasst, einzige Ausnahme ist ihr Geliebter, der Gutsverwalter. Sie
hat mir erzählt, dass sie, als sie das Anwesen erwarb, als Erstes alle
Bauernfamilien davongejagt hat bis auf eine. Das war nicht etwa ein Geständnis,
sondern dem Tonfall nach eine einzige Prahlerei, und nirgendwo eine Regung von
Mitgefühl. Sie wusste, dass diese Leute und ihre Vorväter die kleinen Häuser schon
seit Generationen bewohnt hatten und sie kraft der freundlichen Landessitten als die
ihren ansahen, solange sie sich gut aufführten. Sie wusste, dass es ein
schreckliches Unglück für sie bedeutete, auf die Straße gesetzt zu werden; dass es
fast das Gleiche bedeutete, als würden Inselbewohner ins Meer getrieben. Sie wusste,
dass diese Leute sich ihrem Heim zuinnerst verbunden fühlten. Einer der Bauern, den
sie aus seiner Wohnung geworfen hatte, lebte noch sechs Wochen und starb dann,
obwohl ihm nichts fehlte. Jedenfalls nichts, was die Arznei eines Arztes heilen
kann, nichts, was in den Büchern des Mediziners steht, nichts, wofür seine
Wissenschaft Diagnose oder Abhilfe bietet. Die Freunde des Mannes hatten keine
Zweifel an der Natur seiner Krankheit. Sie sagten, sein Herz sei dort gewesen, wo
jedermanns Herz ist – in seinem Heim; und als ihm das genommen worden sei, sei ihm
auch sein Herz genommen worden, und so sei sein Leben ruiniert und nicht länger
lebenswert gewesen. Die Gräfin rühmte sich mir gegenüber, in ihr sei nichts
Amerikanisches mehr, inzwischen sei sie ganz Italienerin. Offensichtlich betrachtete
sie das als eine Blamage für Amerika, und ebenso offensichtlich glaubte sie, Italien
damit ein Kompliment erster Güte zu machen. Amerika steht noch. Vielleicht überlebt
Italien die Wohltat der gräflichen Billigung, wir wissen es nicht.
Der gescheiterte Traum
dieser einsamen Exilantin hat etwas rührend Komisches. Sie hatte sich eingebildet,
es bedürfe nur eines Titels, um Zutritt zum Himmel der privilegierten Stände Europas
zu erlangen, wohingegen sie jetzt feststellt, dass sie nicht einmal dessen äußersten
Rand durchdrungen hat. Sie hatte ein äußerst wichtiges Detail übersehen – Geld.
Hätte sie ausreichend davon gehabt, wäre es auf ihren elenden Charakter nicht
angekommen. Da es ihr daran aber fehlt, sprechen ihr besudelter Name, ihre
fluchwürdigeNatur und ihr Aufenthalt in einem Stall mit ihrem
Bediensteten und dem anderen Vieh ganz und gar gegen sie. Sie brachte kein Geld mit
und hatte keines, das sie hätte mitbringen können. Hätte sie bei der Bank zehn
Millionen auf der Habenseite, wäre ihr kaum eine Tür verschlossen geblieben; da sie
aber knapp bei Kasse ist, steht keine ihr offen. Sie hat Damen zur Rede gestellt,
hat sie mitten auf der Straße wütend zur Rede gestellt, weil sie ihre Besuche nicht
erwiderten und, wenn sie
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