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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Seidenstuhl, zwei
     gewöhnliche Holzstühle und ein ausgestopfter Sessel, dessen Polsterung von mir
     unbekannter Art, aber diabolisch ist; in der Ecke ein gewöhnlicher dünnbeiniger
     Küchentisch; an der einen Wand ein Kleiderschrank und ein Frisiertisch; an der
     gegenüberliegenden eine wacklige Kommode aus schwarz gestrichenem Strobenholz,
     verziert mit Griffen aus Messingimitat; ein Doppelbett aus Messing. Man wird mir
     beipflichten müssen, dass sich dieses Zimmer seiner Möbel nicht eben schämt. Gottlob
     sind die beiden bereits angesprochenenBrettertüren mit bunten
     Behängen unbekannter Herkunft verhüllt, die drei anderen bereits erwähnten Türen von
     langen Vorhängen verdeckt, die bis auf den Fußboden reichen und in der Mitte gerafft
     sind, um das Hindurchströmen von Menschen und Licht zu ermöglichen. Diese Vorhänge
     haben ein stolzes und prahlerisches Aussehen, das niemanden täuscht, da es auf einer
     Seidenmischung beruht, deren Hauptbestandteil Baumwolle ist. Die Farbe ist ein
     solides Gelb und tiefer als das Gelb der hinteren Wandhälften, und hier geschieht
     etwas Seltsames: Man kann von einer dieser Farben fünfzigmal zu der anderen blicken,
     und jedes Mal wird man diejenige für die hässlichste halten, auf die man gerade
     blickt. Es ist ein höchst kurioser und interessanter Effekt. Ich glaube, wenn man
     sich so weit beruhigen könnte, dass man diese Vorhänge ohne Leidenschaft betrachtet,
     würde man dahin kommen, dass es beide braucht, um die hässlichste Farbe in der Welt
     der Kunst zu ergeben.
    Wir haben diese beiden Gelbtöne betrachtet, aber
     damit ist die Angelegenheit nicht erschöpft, denn es gibt in dem Zimmer noch einen
     dritten. Das ist ein prächtiger hoher Baldachin über dem Messingbett, gefertigt aus
     einem glänzenden, glitzernden und gleißenden Satin in Zitronengelb – echtem Satin,
     dem nahezu einzigen echten Stück im ganzen Raum. Er gehört zum Adel, er gehört zur
     Aristokratie, er gehört zu den majestätischen weißen Säulen und dem zierlichen alten
     Marmorkamin; alle übrigen Einrichtungsgegenstände im Zimmer sind zutiefst
     plebejisch, beklagenswerte Exilanten, die aus ihrem rechtmäßigen Heim verstoßen
     wurden, dem Armenhaus.
    An der Wand am vorderen Ende hängen in großen
     Rahmen Fotos des Paares, das für die Anwesenheit der Gräfin in dieser Welt
     verantwortlich ist. Es wäre geschmackvoller, wenn die beiden weniger erfreut darüber
     wirkten. An der abschließenden Wand in der gelben Zimmerhälfte hängen zwei gerahmte
     Kupferstiche, weibliche Engel, wie üblich damit beschäftigt, Verstorbene über die
     ferne Ansicht einer Stadt, einer Ebene und eines Gebirges hinweg in den Himmel zu
     befördern.
    Die
     Dissonanzen dieses Zimmers, was Farben, demütige Armut und prahlerische wie
     selbstgefällige Prätention betrifft, wiederholen sich, wo immer man hingeht in
     diesem riesigen Haus.
    Ich bin es leid, weitere
     Einzelheiten aufzuzählen. Man könnte auf jeder Seite des Hauses sechzig Meter weit
     laufen, durch ein sinnloses Gewirr unnützer kleiner Empfangszimmer und protziger
     Korridore, und würde, bis man das Speisezimmer am Ende erreicht, nichts Vernünftiges
     oder Anheimelndes finden.
    Im nächsten Stockwerk, über der
     Blackwood-Bibliothek, gibt es ein feines, wohleingerichtetes Schlafzimmer mit einem
     ausgezeichneten Steinbalkon und dem bereits erwähnten großartigen Ausblick, aber
     vergrößert und verbessert. Von dort sechzig Meter nach Norden, und alles ist genauso
     unordentlich zerstückelt wie im Erdgeschoss. In der Mitte jedoch befindet sich ein
     großer Salon von zwölf Metern im Quadrat und vielleicht ebensolcher Höhe, großzügig
     und geschmackvoll mit Brokatseide ausgekleidet und mit sehr schönen Deckenfresken
     verziert. Aber das Zimmer macht einen fast wütenden Eindruck, denn wo man hinsieht,
     sind Diwane und Sofas und Sessel und hohe Fenstervorhänge aus demselben grimmigen
     zitronengelben Satin, der schon beim Baldachin des Messingbetts im Erdgeschoss
     erwähnt wurde. Betritt man an einem herrlichen Florentiner Tag unversehens diesen
     großen Saal, ist es, als betrete man die Hölle an einem Sonntagmorgen, wenn die
     Schwefelfeuer am grellsten und am gelbsten lodern.
    Ich glaube, ich habe schon gesagt, dass das oberste
     Stockwerk aus zwanzig Zimmern besteht. Sie sind nicht möbliert, sie sind geräumig
     und gewähren eine weite bezaubernde Aussicht. Richtig möbliert, wären sie

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