Meine geheime Autobiographie - Textedition
heute Morgen in der Reitschule der École Militaire statt, deren Türen streng bewacht waren, um Eindringlinge zurückzuhalten. Die Kombattanten, die mit Degen fochten, bezogen ihre Positionen um zehn Uhr.
Bei der ersten Klingenberührung zog sich Lieut.-Colonel Henry einen leichten Kratzer am Unterarm zu, und im selben Moment schien seine eigene Klinge den Hals seines Gegners zu berühren. Senator Ranc, der Colonel Picquarts Sekundant war, unterbrach den Zweikampf; als sich jedoch herausstellte, dass sein Duellant nicht berührt worden war, wurde der Waffengang fortgesetzt. Es folgte ein sehr scharfer Zusammenstoß, bei dem Colonel Henry am Ellbogen verwundet wurde, damit war das Duell beendet.
Danach die Trage und die Kapelle. In grellem Kontrast zu dieser zarten Koketterie erlebten wir vorgestern das tödliche Duell in Italien, wo das ernste österreichische Duell in Mode ist. Ich kannte Cavallotti flüchtig, weswegen ich ein persönliches Interesse an diesem Duell habe. Vor mehreren Jahren hatte ich ihn das erste Mal in Rom gesehen. Er saß auf einem Steinquader im Forum und schrieb etwas in sein Notizbuch – ein Gedicht, eine Forderung oder dergleichen –, und der Freund, der mich auf ihn hingewiesen hatte, sagte: »Das ist Cavallotti – er hat dreißig Duelle bestritten; stören Sie ihn nicht.« Ich störte ihn nicht.
13. Mai 1907.
Es ist lange her. Cavallotti – Dichter, Redner, Satiriker, Staatsmann, Patriot – war ein bedeutender Mann, sein Tod wurde von seinen Landsleuten zutiefst beklagt – wovon viele ihm gewidmete Denkmäler Zeugnis ablegen. In seinen Duellen tötete er mehrere seiner Widersacher und machte den Rest kampfunfähig. Von Natur aus war er leicht reizbar. Als die Bibliothek von Bologna seine Bücher hinauswarf, erschien der sanfte Dichter und forderte alle fünfzehn Angestellten heraus! Seine parlamentarischen Pflichten nahmen ihn stark in Anspruch, aber er schlug vor, immer wiederzukommen und zwischen seinen Zugfahrten Duelle auszutragen, bis alle Angestellten aus den Aktivitäten des Lebens verabschiedet wären. Obwohl er als Kampfwaffe stets den Degen wählte, hatte er nie auch nur eine Unterrichtsstunde mit dieser Waffe absolviert. Wenn das Startsignal fiel, wartete er nicht etwa ab, sondern stürzte sich sofort auf seinen Gegner und ließ einen solchen Sturm an wilden und originellen Stößen und Hieben auf diesen niederprasseln, dass der Mann, noch ehe er sein Können unter Beweis stellen konnte, tot oder verkrüppelt war. Sein letzter Widersacher jedoch parierte Cavallottis Draufgängertum und siegte. Als sich Cavallotti auf ihn stürzte, hielt er den Degen gerade wie eine Lanze vor sich – mit dem Ergebnis, dass sich Cavallotti aufspießte. Die Lanze drang in seinen Mund und kam im Nacken wieder heraus. Der Tod trat auf der Stelle ein.
Dienstag, 23. Januar 1906
Über die Versammlung in der Carnegie Hall zugunsten Booker Washingtons
Tuskegee Institute – Führt zu einem unangenehmen politischen Zwischenfall,
der Mr. Twichell widerfuhr
Gestern Abend fand in der Carnegie Hall eine Großveranstaltung zugunsten Booker Washingtons Tuskegee Educational Institute im Süden statt, und das Interesse, das die New Yorker an diesem Institut haben, war offenkundig, denn obwohl kein angenehmes Wetter herrschte, fanden sich dreitausend Menschen in dem Saal ein und zweitausend davor, die um acht, als die Darbietungen gerade beginnen sollten, noch hineinzugelangen versuchten. DenVorsitz führte Mr. Choate, der, als er auf die Bühne marschierte, mit großem Applaus begrüßt wurde. Er war soeben aus England zurückgekehrt, wo er sich lange als unser Botschafter aufgehalten und die Engländer mit den Gaben seines Herzens, die Mitglieder des Königshauses und der Regierung mit seinem diplomatischen Geschick sowie die ganze Nation mit seiner vornehmen und vollendeten Redekunst für sich eingenommen hatte. Fünfunddreißig Jahre lang war Choate der bestaussehende Mann Amerikas. Gestern Abend fand ich ihn noch genauso gutaussehend wie vor fünfunddreißig Jahren, als ich ihm das erste Mal begegnet bin. Und immer wenn ich ihn, vor fünf oder sechs Jahren, in England aufsuchte, hielt ich ihn für den bestaussehenden Mann auch in diesem Land.
Booker Washington traf ich zum ersten Mal auf einem Empfang zum Unabhängigkeitstag in Mr. Choates Londoner Haus. Seither bin ich ihm mehrfach begegnet, und immer macht er einen angenehmen Eindruck auf mich. Gestern Abend war er Mulatte. Das
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