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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Schilderung des
Geistes
jenes Duells aber, wie ich meine, korrekt und zuverlässig war. Als ich vierunddreißig Jahre nachmeinem vereitelten Duell in Wien lebte, war mein Interesse an Vorfällen dieser Art noch immer lebendig; unter meinen autobiographischen Manuskripten aus der Zeit finde ich ein Kapitel dazu, das ich begonnen, aber nicht beendet hatte. Ich hatte es beenden wollen, jedoch damit gewartet in der Hoffnung, M. Nigra, der italienische Botschafter, würde die Zeit finden, mir die
ganze
Geschichte der Abenteuer Signor Cavallottis auf diesem Gebiet zur Verfügung zu stellen. Aber er war ein vielbeschäftigter Mann; immer gab es eine Unterbrechung, bevor er loslegen konnte; und so erfüllte sich meine Hoffnung nicht. Das Folgende ist das unvollendete Kapitel.
     
    Über das Duellieren. Dieser Zeitvertreib ist in Österreich heute so alltäglich wie in Frankreich. Allerdings mit dem Unterschied, dass das Duell hier in den österreichischen Staaten gefährlich ist, in Frankreich dagegen nicht. Hier ist es eine Tragödie, in Frankreich eine Komödie; hier ist es eine Feierlichkeit, dort ein Affentheater; hier setzt der Duellant sein Leben aufs Spiel, dort nicht einmal sein Hemd. Hier kämpft er mit Pistole oder Säbel, in Frankreich mit einer Haarnadel – einer stumpfen. Hier versucht der schwerverwundete Mann, zu Fuß zum Krankenhaus zu laufen; dort bemalt man den Kratzer, um ihn wieder aufspüren zu können, legt den Leidenden auf eine Trage und geleitet ihn mit einer Musikkapelle vom Kampfplatz.
    Am Ende eines französischen Duells herzt und küsst sich das Paar und weint und lobt den Wagemut des anderen; dann führen die Wundärzte eine Untersuchung durch und identifizieren den Angekratzten, und der andere hilft ihm auf die Trage und zahlt seine Transportkosten; im Gegenzug spendiert der Angekratzte abends Champagner und Austern, und damit ist »der Fall erledigt«, wie die Franzosen sagen. Alles geht artig und liebenswürdig und hübsch und eindrucksvoll vonstatten. Am Ende eines österreichischen Duells reicht der Kontrahent, der überlebt hat, dem anderen Mann gravitätisch die Hand, gibt einige Phrasen höflichen Bedauerns von sich, sagt ihm Lebewohl und geht seiner Wege, und auch dieser Fall ist erledigt. Den französischen Duellanten schützen die Spielregeln sorgfältig vor jeder Gefahr. Die Waffe seines Kontrahenten reicht nicht bis an seinen Körper heran; wenn er überhaupt einen Kratzer abbekommt, dann nicht oberhalb des Ellbogens. In Österreich dagegen treffen die Spielregeln gemeinhin keine Vorsorge gegen Gefahr, vielmehr sorgen sie gewissenhaft
für
Gefahr. Gewöhnlich muss dasGefecht fortgesetzt werden, bis einer der beiden Männer kampfunfähig ist; eine Schnitt- oder Stichwunde, die ihn nicht kampfunfähig macht, entlässt ihn nicht vom Platz.
    Drei Monate lang las ich die Wiener Zeitungen, und immer, wenn in den Kurzmeldungen über ein Duell berichtet wurde, klebte ich den Ausschnitt in mein Notizbuch. Anhand dieses Materials stelle ich fest, dass das Duellieren in Österreich nicht auf Journalisten und alte Jungfern beschränkt ist wie in Frankreich, sondern dass sich Militärs, Zeitungsleute, Studenten, Ärzte, Anwälte, Mitglieder der Legislative und sogar des Kabinetts, der Justiz und der Polizei darin ergehen. Duellieren ist gesetzlich verboten; und so ist es seltsam, Gesetzgeber und Gesetzesvollstrecker in dieser Weise auf ihrem Werk herumtanzen zu sehen. Vor einigen Monaten trug Graf Badeni, damals Regierungschef, hier in der Hauptstadt des Reichs ein Pistolenduell mit dem Abgeordneten Wolf aus, und diese beiden herausragenden Christen wären um ein Haar aus der Kirche ausgeschlossen worden – denn nicht nur der Staat, auch die Kirche verbietet das Duellieren.
    Jüngst schritt in einem Fall in Ungarn die Polizei ein und beendete ein Duell nach den ersten Durchgängen. Es handelte sich um ein Säbelduell zwischen dem Polizeichef und dem Oberstaatsanwalt der Stadt. In den Zeitungen waren unfreundliche Dinge darüber zu lesen. Es hieß, die Polizei besinne sich ungewöhnlich gut auf ihre Pflichten, wenn ihre eigenen Beamten zu den Duellparteien gehören. Aber ich glaube, dass die Untergebenen gesunden Menschenverstand bewiesen. Hätten ihre Vorgesetzten einander tüchtig zerfetzt, hätte die Öffentlichkeit gefragt: Wo war die Polizei?, und ihre Posten wären bedroht gewesen; allerdings verlangen die Gepflogenheiten nicht, dass sie auch dann zur Stelle sind, wenn Nichtbeamte, bloße

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