Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
Strähnen waren sie wunderschön. Ihr Gesicht sah ohne die nachgezogenen Linien jedoch so kahl und glatt aus wie der Stein in ihrer Handtasche.
»Warum liegst du immer noch im Bett, Veraleen? Bist du müde?«, fragte Biswick.
»Hundemüde, Schatz, hundemüde. Das ist alles.« Doch sie war nicht müde, sondern traurig, so wie Biswick vorhin gesagt hatte. Sie hatte denselben leeren, fernen, unbeteiligten Blick wie Onkel Dal, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Ich dachte daran, dass auch sie sich vielleicht nach einem bestimmten Menschen sehnte, so wie er.
Biswick zog sie am Arm. »Was ist, Veraleen?«
Sie lächelte ihn an, wobei ihre Zähne funkelten wie das Gold eines Drachen. Biswick kicherte. »Kann ich später mal deine Zähne haben, Veraleen?«
Sie lachte. »Du bist ein süßer Junge. Ich wünschte, du wärst mein Junge. Ich wünschte wirklich, du wärst meiner gewesen.«
»Aber ich habe einen Daddy.«
»Ich weiß, Schatz.« Sie schaute ihn so liebevoll an, dass ich in diesem Moment genau wusste, dass irgendwo jenseits der Berge ihre Familie zu finden war. Und ich war eifersüchtig.
Eine Träne fiel auf ihr Kissen.
Es sah so aus, als würde ein Pfirsichkern weinen. »Komm schon, Veraleen. Uns kannst du es doch erzählen«, forderte Biswick sie auf.
Wir warteten. Schließlich begann sie: »Vor ein paar Wochen habe ich sie ganz deutlich vor mir gesehen. Ich arbeitete an meinem kleinen Garten, und auf einmal ging sie an mir vorbei,
dort, wo ich das Feuerkraut gepflanzt habe. Sie trug das Sonntagskleid, das ich ihr damals gekauft habe, vor vielen, vielen Jahren.«
Ich schwieg. Biswick lief zum Fenster und schaute hinaus.
»Sie ist fort. Und ich habe ihr nie verziehen«, sagte Veraleen.
»Wir werden sie finden«, entgegnete Biswick. »Ich bin sehr gut im Finden von Sachen. Auch von Menschen. Vielleicht ist sie immer noch im Garten.«
Veraleen lächelte, indem ihr eine weitere Träne über die Wange lief. »Nein, mein Schatz. Du kannst sie nicht mehr finden. Sie ist im Himmel.«
»Oh, Veraleen!«, sagte Biswick, der wieder zu ihr hingelaufen war. »Du hast keine Augenbrauen.«
»Nein, Biswick. Ich habe keine Augenbrauen.« Sie blickte über ihn hinweg und schaute mich an. »Ich habe gestern einen Brief bekommen. Sie ist gestorben. Schon vor mehreren Wochen, und ich wusste es nicht. Ich kann nicht glauben, dass ich es nicht wusste. Der Brief hat sehr lange gebraucht, um mich zu erreichen.«
Ich saß vollkommen regungslos in meinem Stuhl und wusste, dass ich jetzt die richtigen Worte finden, ihr mein Bedauern aussprechen musste. Doch ich brachte kein Wort über die Lippen. Ich konnte nichts anderes tun, als ihrem traurigen Blick zu begegnen. Sie nickte mir zu. Sie verstand mich.
»Du gehst doch nicht zu ihrem Begräbnis , oder?«, fragte Biswick. Er sprach das Wort mit hörbarem Widerwillen aus.
»Nein, das hat längst stattgefunden.«
Ich schloss für einen Moment die Augen und fragte mich, warum sie nicht nach Hause zu ihrer Familie fuhr, wo immer diese auch sein mochte. Und wer eigentlich gestorben war.
»Ich will nicht, dass du Weihnachten verpasst, Veraleen«,
sagte Biswick. »Ich werde dir ein wunderschönes Geschenk machen. Ich werde es einpacken und unter deinen Weihnachtsbaum legen.«
»Tu das, mein Schatz.« Sie lächelte. »Und ich bin mir ganz sicher, dass es das schönste Geschenk ist, das ich je bekommen habe.« Ich war mir nicht sicher, ob sie noch über Weihnachten bleiben würde, wenn sie doch bald nach Afrika oder nach Australien aufbrach.
»Rate mal, was wir auf der Müllhalde gefunden haben, Veraleen«, sagte Biswick. »Rate einfach!«
»Ach, ich weiß nicht. Im Moment fällt mir gar nichts ein. Erzähl!«
»Wir haben einen Freund für Merilee gefunden!«
»Na, so was!«, rief Veraleen lachend aus. Ich fand das nicht besonders komisch. »Du hast wirklich einen Freund, Merilee? Dann denk dran, was ich dir über das Küssen gesagt habe.« Küsse verfliegen .
»Nein, nein... nicht wahr«, stammelte ich. »Schauerlich.«
»Eines Tages wird sie ihn heiraten!« Biswick machte ein quietschendes, schmatzendes Geräusch.
»Ich werde nie heiraten!«, erklärte ich.
»Was wir wirklich gefunden haben, Veraleen, ist eine Katze mit ihren Babys!«
»Ja, ist denn das zu glauben!« Sie lachte.
»In einem Pappkarton«, fügte ich hinzu. »Aber sie sehen nicht sehr gesund aus. Sie sind voller Ungeziefer. Wir haben sie erst mal in deinem Schuppen untergebracht.«
Veraleen dachte
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