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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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schon Onkel Dal.
    »Oh, hier gibt es viele interessante Dinge zu sehen, zum Beispiel die heißen Quellen von Balma und die Irrlichter von Jumbo.« Er ging halb um die Statue herum und blieb dort stehen.
    Warum um alles in der Welt hatte Onkel Dal von diesen
Dingen überhaupt angefangen? Es gibt hier ein paar seltsame Naturphänomene, die schon so lange zu unserer Gegend dazugehören, dass niemand mehr Notiz von ihnen nimmt. Da sind zum Beispiel die Luftspiegelungen in der Wüste, die einem vorgaukeln, es würden ganze Städte am Himmel vorüberziehen. Oder die Staubteufel, die plötzlich am Straßenrand aufwirbeln und die Autos von der Fahrbahn zu jagen scheinen. Doch am berühmtesten ist Jumbo für seine Irrlichter. Auf halbem Weg nach Whiskey gibt es sogar einen Aussichtspunkt, um sie zu beobachten. Angeblich haben schon die Apachen diese rätselhaften Lichter gesehen und geglaubt, es handele sich um Geister, die ihre Vorfahren nach Hause holen wollten. Die alten Leute können so manche Geschichte über diese Lichter erzählen. Um Weihnachten herum feiern wir ihnen zu Ehren sogar ein Fest, das Jumbo Lights Festival.
    »Irrlichter? Was bedeutet das?«, fragte Biswick.
    »Nichts Besonderes«, warf ich mit gewisser Genugtuung ein. »Nur eine optische Täuschung. Lumineszenz. Phosphoreszierend.«
    »Waaaaas?« Seine Stimme überschlug sich fast. »Warum sagt Merilee Schauerlich so komische Sachen?«
    Onkel Dal sah mich stirnrunzelnd an, was er nie zuvor getan hatte. »Die Lichter sind wunderschön, einfach zauberhaft«, sagte er. »Manche behaupten, es seien die Geister der Indianer, die nach ihren Angehörigen schauen.«
    »Indianer?«, stieß Biswick aus. Ich hatte den Eindruck, dass ein kurzes Leuchten über sein Gesicht huschte.
    »Vielleicht kann dein Vater dich ja mal mitnehmen. Mitten in der Nacht leuchten sie plötzlich auf«, fuhr Onkel Dal fort, während er wieder halb um die Statue herumging und sich vor sie kniete. Mein Herz machte einen Sprung. Vielleicht war heute einer dieser guten Tage, an denen ich ihm das Zahneisen geben durfte, damit er die Oberfläche ein wenig glätten
konnte. Vor ein paar Wochen ist uns der Durchbruch gelungen. Wir haben den kleinen Zeh so verfeinert, dass jetzt sogar sein Zehennagel zu erkennen ist. Die anderen Zehen sehen immer noch aus wie dicke Würste. Onkel Dal ließ seine Hand ehrfürchtig über die Hügel und Täler des Fußes wandern. Manchmal tat er das eine ganze Stunde lang. Also setzte ich mich in das herumliegende Stroh und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
    Ich starrte zu den Dachbalken hinauf. Altes, verrostetes Gerät, eine Hinterlassenschaft von Obedias Cuernavacas Ausflug in die Landwirtschaft, hing von dort hinab. Spinnweben spannten sich wie Girlanden von einem Gegenstand zum andern. Als Ferdie Frankmueller einmal zu Besuch kam, um sich den Fuß anzusehen, hat sie Onkel Dal gesagt, er könne ein kleines Vermögen verdienen, wenn er die alten Gerätschaften verkaufen würde. Doch Onkel Dal wollte lieber alles so lassen, wie er es in Obedias’ Scheune vorgefunden hatte. Recht hat er. Ich blickte zum alten Heuboden hinauf, den ich nie erkundet hatte und auch nie erkunden werde. Manchmal, wenn Onkel Dal in Gedanken versunken ist, stelle ich mir vor, dass dort oben ein Drache lebt, der ein Nest mit Eiern bewacht.
    Biswick lief zum Fuß hinüber und schaute ihn sich genau an. »Ganz schön hässlich«, stellte er fest. Ich warf ihm einen strengen Blick zu.
    Onkel Dal lächelte verhalten. Im Gegensatz zu mir. Ich war beleidigt. Es stimmt zwar, dass der Fuß unförmig und plump aussieht, aber was soll’s? Maydell Rathburger sagt, sie fühle sich an den chronisch entzündeten Fuß ihrer Urgroßmutter erinnert. Ich finde ihn jedenfalls schön, und es gibt nicht viele Dinge, die ich schön finde. Außerdem weiß ich, dass Onkel Dal weiß, was er tut. Er hat eine Vision. Ich lebe nur auf den Tag hin, an dem ich ihm die Werkzeuge reichen darf, mit denen er die letzten Feinarbeiten vornehmen wird.

    »Wusstest du, dass Elefanten die einzigen Säugetiere sind, die nicht springen können?« Biswick hüpfte unbeholfen um die Statue herum, um zu zeigen, was er meinte. Das würde ich nicht in mein Notizbuch eintragen. Ich war stinksauer.
    »Hey, könntest du mir mal den vordersten Meißel von da drüben geben?«, fragte Onkel Dal, während mein Gesicht brannte. Biswick lief zum Arbeitstisch hinüber und begrabschte jedes einzelne Werkzeug. Ich musste einen tiefen

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