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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sprung zu gehen. Ob wir unterwegs hinunterschauten, weiß ich nicht, aber selbst wenn wir es getan hätten, ich glaube nicht, dass uns schwindlig g e worden wäre und dass wir heruntergefallen wären. I m mer wieder fasst mich Entsetzen, wenn ich Kinder sehe, die, die Z e hen über den Rand, ohne jedes Schwindelgefühl oder andere Erwachsenenwehwehchen an einem A b grund stehen und hinunterscha u en.
    Wir brauchten nicht weit zu gehen. Die ersten drei Fenster waren zu, aber das nächste, das in eine der Toile t ten führte, stand offen. Kaum waren wir drin, wurden wir zu unserer Überraschung mit der Aufforderung konfro n tiert, sofort in Mrs Selwyns Zimmer zu kommen. Beide Mütter waren ernstlich böse. Wir konnten nicht begre i fen, warum. Wir wurden für den Rest des Tages ins Bett geschickt. Unsere Verteidigung wurde einfach nicht a k zeptiert.
    »Aber du hast uns nie etwas gesagt«, rechtfertigten wir uns vor den Müttern. »Du hast uns nie gesagt, dass wir nicht auf dem Sims rund ums Haus gehen dürfen.«
    Wir zogen uns mit dem Gefühl ins Bett zurück, dass uns grobes U n recht geschehen war.
    Mutter beschäftigte sich mittlerweile immer noch mit dem Problem meiner Erziehung. Sie und meine Schwe s ter ließen sich in einem Modesalon der Stadt Kleider m a chen, und dort fiel ihr Auge auf eine junge Schneiderin, deren Hauptaufgabe es war, Änderungen abzustecken und der Zuschneiderin N a deln zu reichen. Diese war eine spit z züngige Frau mittleren Alters, und die Geduld und die Gutmütigkeit des jungen Mädchens veranlassten Mu t ter, einige Erkundigungen über sie einzuziehen. Sie hieß Marie Sijé und war zweiundzwanzig Jahre alt. Ihr Vater war E i gentümer eines kleinen Cafes. Sie hatte eine ältere Schwester, die im gle i chen Salon arbeitete, zwei Brüder und eine kleinere Schwester. Sie war sprachlos, als Mu t ter sie ganz beiläufig fra g te, ob sie Lust hätte, nach England zu kommen. Sie war von dem Vorschlag ebenso übe r rascht wie begeistert.
    »Ich muss natürlich noch mit Ihrer Mutter reden«, sagte meine Mutter. »Es könnte ihr nicht recht sein, dass ihre Toc h ter so weit fort geht.«
    Mutter besuchte Madame Sijé, und die beiden Damen besprachen alles genau und eingehend. Dann weihte Mu t ter V a ter in ihre Pläne ein.
    »Aber Clara«, protestierte Vater, »das Mädchen ist doch keine Gouve r nante!«
    Marie, erwiderte Mutter, wäre genau die Person, die sie brauchten. »Sie kann kein Englisch, kein einziges Wort. Agatha wird Französisch lernen müssen. Sie ist ein wir k lich gutherz i ges und gutmütiges Mädchen und kommt aus einer anständigen Familie. Sie würde uns gern nach En g land begleiten und könnte für uns auch nähen und Kle i der machen.«
    »Bist du auch ganz sicher, Clara?«, fragte Vater zwe i felnd.
    Meine Mutter war immer sicher.
    »Es ist die perfekte Lösung«, erklärte sie.
    Und wie so oft bei Mutters wunderlichen Einfällen, b e hielt sie auch diesmal Recht. Ich brauche nur die Augen zu schli e ßen, um die liebe Marie so zu sehen, wie ich sie damals sah. Rundliches, rosiges Gesicht, Stupsnase, dun k les Haar zu einem Knoten gerafft. Mit schlo t ternden Knien, wie sie mir später erzählte, kam sie am ersten Morgen in mein Zimmer. Sie hatte sich gut vorbereitet und mühsam die engl i schen Sätze gelernt, mit welchen sie mich begrüßte: »Guten Morgen, Miss. Ich hoffe, Sie sind wohlauf.« Leider war ihre Aussprache so schlecht, dass ich kein Wort verstand. Misstrauisch musterte ich sie. An diesem ersten Tag w a ren wir wie zwei Hündchen, die sich eben erst kennen gelernt haben. Wir redeten wenig und beäugten uns furchtsam. Marie bürst e te mir das Haar – sehr blondes Haar, zu Ringellocken gedreht – und hatte solche Angst, mir wehzutun, dass sie es kaum wagte, die Bürste zu gebra u chen. Ich wollte ihr sagen, sie müsse viel fester bürsten, aber das war natürlich unmöglich, weil ich ihre Sprache nicht kannte.
    Wie es möglich war, dass Marie und ich in weniger als einer Woche miteinander reden konnten, weiß ich nicht. Ein Wort hier, ein Wort da, und ich konnte mich auf Französisch ve r ständlich machen. Mehr noch: Schon eine Woche später waren wir gute Freundinnen geworden. Mit Marie spazieren zu g e hen, machte Spaß. Alles, was ich mit Marie unte r nahm, machte Spaß.
    Im Frühsommer wurde es heiß in Pau, und wir reisten ab. Wir ve r brachten eine Woche in Argelès, eine weitere in Lourdes und fuhren dann nach Cauterets am Fuß der Pyren ä en.

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