Meine gute alte Zeit - Teil I
behaupten konnte, und dass ihn nun ein schmächt i ges junges Mädchen gefällt hatte, muss ihn wütend g e macht haben. Nach diesem Vorfall übte er so selten wie möglich mit mir. Jedenfalls wollte ich das Risiko nicht eingehen, mich in Rudis Begleitung auf die Eisbahn zu b e geben – wahrscheinlich würde ich auch ihn zu Fall bringen, und dann würde auch er böse sein.
Mit Rudis Erscheinen vollzog sich ein Wandel in mir. Wir sahen ihn nur diese zwei Male, aber sie genügten, um einen Übergang sichtbar werden zu lassen. Ich zog einen Schlussstrich unter alles, was Heldenve r ehrung war. Die romantischen Gefühle, die ich für Menschen aus Fleisch und Blut, aber auch für Produkte meiner Fantasie em p funden hatte – Gestalten aus Büchern, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Leute, die in unserem Haus ve r kehrten – erloschen. Ich verlor die Fähi g keit, sie mit selbstloser Liebe zu umgeben, und hegte nicht mehr den Wunsch, mich für sie zu o p fern. An jenem Tag fing ich an, junge Männer als junge Männer anzusehen. Es mac h te mir Freude, diese aufregenden Geschöpfe kennen zu lernen, unter welchen ich früher oder später meinen Ga t ten (den »Richtigen!«) finden würde. Ich verliebte mich nicht in Rudi – vielleicht hätte ich mich in ihn verliebt, wenn er mir noch hä u figer begegnet wäre –, aber meine Einstellung war plötzlich eine andere geworden. Mit e i nem Mal gehörte auch ich zu der Welt weiblicher Wesen, die unen t wegt auf der Suche nach Beute sind. Das Bild des Bischofs von London – letztes Objekt meiner He l denverehrung – verschwand aus meinem B e wusstsein. Es drängte mich, wirkliche junge Männer kennen zu lernen, eine Menge richtiger junger Männer – es konnten gar nicht genug sein.
Ich vermag nicht mehr zu sagen, wie lange ich bei Miss Dr y den blieb – ein Jahr, vielleicht eineinhalb, sicher nicht länger als zwei Ja h re. Meiner sprunghaften Mutter schien die Lust an weiteren Veränderungen meines Erziehung s schemas verga n gen zu sein – es kann aber auch sein, dass ihr nichts zu Ohren kam, was ihr besonders interessant erschienen wäre. Oder sie erkannte intuitiv – und das scheint mir das Wahrscheinlichste –, dass ich gefunden hatte, was mich befriedigte.
Einer meiner Träume wurde zerstört, noch bevor ich P a ris verließ. Miss Dryden erwartete eine frühere Schül e rin, die Gr ä fin Limerick, die eine ausgezeichnete Pianistin und Schülerin von Charles Fürster war. Bei solchen Gelege n heiten war es üblich, dass zwei oder drei Mädchen, die Klavier studierten, ein kleines Konzert gaben. Diesmal wurde auch ich dazu auserkoren. Es war eine einzige K a tastrophe. Ich war schon vorher nervös, nicht mehr als sonst, aber als ich mich ans Klavier setzte, ergoss sich me i ne Unzulänglichkeit wie eine Flut über mich. Ich griff daneben, kam aus dem Takt, phrasierte ung e schickt, spielte wie eine Anfängerin… ich blamierte mich unster b lich.
Niemand hätte mehr Verständnis zeigen können als Lady Limerick. Sie sprach nachher mit mir und sagte, sie hätte sofort gemerkt, wie nervös ich war, und dass man einen solchen Zustand schlicht und einfach als Lampe n fieber bezeichnete. Wenn ich mich einmal daran g e wöhnt hätte, vor Publikum zu spielen, würde es mir vielleicht gelingen, die Ruhe zu bewa h ren. Ich war ihr für diese gütigen Worte dankbar, aber ich wusste, dass mehr dahi n tersteckte.
Ich studierte weiter, aber bevor ich heimfuhr, fragte ich Charles Fürster ganz offen um seine Meinung: Würden Ausdauer und harte Arbeit genügen, um eine Konzertp i anistin aus mir zu machen? Auch er war sehr gütig, aber er machte mir nichts vor. Er meinte, ich hätte einfach nicht das Naturell, um vor Publikum zu spielen, und ich wus s te, dass er Recht hatte. Ich war ihm dankbar, dass er mir die Wahrheit gesagt hatte. Eine Weile war ich traurig darüber, aber ich bemühte mich sehr, nicht mehr als u n bedingt nötig darüber nachzudenken.
Wenn man das, was man sich mehr als alles in der Welt wünscht, nicht bekommen kann, sollte man es sich besser eingestehen und seinen Weg fortsetzen, statt über en t täuschte Hoffnungen zu grübeln. Dass mir diese Abfuhr schon so früh erteilt wurde, war mir eine wer t volle Hilfe für die Zukunft. Sie lehrte mich, dass ich meinem Temp e rament nach nicht zu Zurschaustellungen irgendwelcher Art taugte. Anders gesagt, ich konnte meine körperlichen Reaktionen nicht b e herrschen.
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