Meine gute alte Zeit - Teil I
ten, bis es ihm endlich dämmerte. »Du meinst wahrscheinlich einen Skorpion«, sagte er.
Und damit verflog der geheime Zauber. Ein Skorpion e r schien mir nicht annähernd so schreckenerregend wie der im a ginäre scarrapin.
Zwischen Marguerite und mir kam es zu einer heftigen Auseinande r setzung über die Frage, wer die Babys bringe. Ich versicherte Ma r guerite, dass es die Engel wären, die die Babys brächten. Nursie hatte mich diesbezüglich g e nau informiert. Marguerite hingegen behauptete steif und fest, dass Babys zum Lage r bestand der Ärzte gehörten, die sie dann in ihren schwarzen Taschen ins Haus trugen. Als unser Di s put immer mehr an Heftigkeit zunahm, schlichtete Fanny, Marguerites amerikanisches Kinde r mädchen, taktvoll den Streit.
»Genauso ist es, meine Schätzchen«, sagte sie. »Amer i kan i sche Babys kommen in den Taschen der Ärzte, und die englischen werden von Engeln gebracht. Ganz ei n fach.«
Wir waren befriedigt und stellten die Feindseligkeiten ein.
Vater und Madge machten viele Ausflüge zu Pferd, und eines Tages wurde mein Wunsch erfüllt – man teilte mir mit, dass ich sie bei ihrem nächsten Ausritt begleiten dü r fe. Heiße Freude durchzuckte mich. Mu t ter hegte die Befürchtung, dass mir etwas zustoßen könnte, aber Vater zerstreute schnell ihre Zweifel.
»Wir haben einen Führer dabei«, beruhigte er sie. »Er hat E r fahrung mit Kindern und wird darauf sehen, dass sie nicht herunterfällt.«
Am nächsten Morgen kamen die drei Pferde, und es ging los. Im Zic k zack trotteten wir über steil ansteigende Pfade, und ich genoss jeden Augenblick. Hin und wieder pflückte der Führer kleine Blume n sträuße und gab sie mir, damit ich sie in mein Hutband steckte. Soweit ging alles wunderbar, bis wir am Gi p fel anlangten und der Führer sich selbst übertreffen wollte. Er kam zu uns z u rückgelaufen, zwischen den Fingern einen her r lichen Schmetterling, den er gefangen hatte. »Pour la petite demo i selle!«, rief er, nahm eine Nadel von seinem Rockau f schlag, durc h bohrte den Schmetterling und steckte ihn mir an den Hut! Das Entse t zen dieses Augenblicks! Der quälende Schmerz, der mich durchzuckte, als der arme Schmetterling verzweifelt mit den Flügeln schlug. Und ich konnte natürlich nichts sagen! So viele widerspr e chende Gefühle bewegten mich. Dies war eine freundl i che Geste von Seiten des Führers. Er hatte mir den Falter gebracht. Es war ein ganz besonderes Geschenk. Konnte ich ihm wehtun und ihm sagen, dass ich es nicht h a ben wollte? Wie sehr wünschte ich, er würde ihn wieder for t nehmen! Und während dieser ganzen Zeit das Flattern dieses sterbenden Schmetterlings! Das grauenhafte Klo p fen der Fl ü gel an meinem Hut! Ich fing an zu weinen.
Je mehr man mich fragte, desto unmöglicher wurde es mir zu antworten. »Was hast du denn?«, wollte Vater wi s sen. »Tut dir etwas weh?«
»Vielleicht macht ihr das Pferd Angst«, mutmaßte me i ne Schwester.
Nein, sagte ich, und noch einmal nein. Ich hatte keine Angst und mir tat auch nichts weh.
»Müde?«, fragte Vater.
»Nein«, antwortete ich.
»Also was ist los?«
Aber ich konnte es nicht sagen. Natürlich konnte ich es nicht sagen. Der Führer stand daneben und sah mich au f merksam und verwundert an. »Sie ist eben noch zu jung«, meinte Vater, »wir hätten sie nicht mitnehmen so l len.«
Meine Tränen flossen nur noch reichlicher. Ich wusste, dass ich ihm und meiner Schwester den Tag verdarb, aber ich konnte mir nicht he l fen. Ich konnte nur hoffen und beten, dass er oder Madge erraten würden, was in mir vorging. Einmal mussten sie doch den Schmetterling s e hen, einmal mussten sie doch sagen: »Vielleicht mag sie den Schmetterling nicht auf ihrem Hut.« Sobald sie das sagten, würde alles gut sein. Aber ich konnte es ihnen nicht sagen. Es war schrecklich. Ich wollte nichts essen. Ich saß da und weinte, und der Schmetterling schlug mit den Fl ü geln. Schließlich hörte er auf zu schlagen.
Wir ritten wieder hinunter – Vater zornig, Madge ärge r lich, der Führer immer noch freundlich und liebenswü r dig und verständnislos. Gott sei Dank dachte er nicht daran, mir einen zweiten Schmetterling zu sche n ken, um mich aufzuheitern. In gedrückter Stimmung kamen wir unten an und gingen gleich ins Wohnzimmer, wo Mutter uns erwart e te.
»Ach herrje«, sagte sie, »was ist passiert? Hat Agatha sich wehg e tan?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete mürrisch mein Vater. »Ich weiß
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