Meine gute alte Zeit - Teil I
Es war ein wunderschönes Stück Erde. Jeden Morgen gi n gen wir über einen Bergpfad, der zu den Thermalquellen füh r te, wo wir alle ein paar Becher scheußlich schmeckenden Wa s sers tranken. Nachdem wir auf diese Weise etwas für unsere Gesundheit getan ha t ten, kauften wir uns eine Stange sucre d’orge. Mutter zog Anis vor, das ich nicht ausstehen konnte. Auf den Zic k zackwegen rund um das Hotel entdeckte ich bald einen höchst vergnüglichen Sport: auf dem Hosenboden durch den Ki e fernwald zu rodeln. Marie schüttelte missbilligend den Kopf, aber ich beda u re, festhalten zu müssen, dass Marie von Anfang an nicht im Stande war, mir gegenüber ihre Autorität geltend zu machen. Wir waren Freundi n nen und Spielkamer a den, aber der Gedanke, zu tun, was sie mir sagte, kam mir nie in den Sinn.
Mit der Autorität ist das so eine Sache. Mutter besaß sie in vollem Maß. Sie war selten böse, hob kaum jemals die Stimme, aber sie brauchte nur in leisem Ton eine Anwe i sung zu geben, und schon wurde sie befolgt. Dass andere Leute diese Gabe nicht besaßen, verwunderte sie immer wieder. Als sie in spät e ren Jahren bei uns wohnte – ich war schon das erste Mal verheiratet und hatte mein eig e nes Kind – beklagte ich mich über ein paar lästige Jungen, die im Nachbarhaus wohnten und immer durch die H e cke zu uns herüberkamen. Alle meine Au f forderungen, sie sollten sich verziehen, halfen nichts.
»Wie ungewöhnlich«, sagte Mutter, »warum sagst du i h nen nicht ei n fach, sie sollen fortgehen?«
»Versuch du es doch einmal«, antwortete ich, und ger a de in diesem Augenblick erschienen die zwei kleinen Ju n gen, riefen wie gewohnt »Blablabla, wir bleiben da!« und warfen Kies auf den Rasen. Einer fing an, einen Baum zu beschießen, schnaufte und brüllte. Mutter f i xierte ihn.
»Ronald«, sagte sie. »Ist das dein Name?«
Ronald gab zu, dass er so hieß.
»Bitte spielt nicht so nahe. Ich habe es nicht gern, wenn ich gestört werde. Geht ein bisschen weiter weg.«
Ronald sah sie an, pfiff seinem Bruder, und beide zogen ab.
»Du siehst, Liebling«, sagte Mutter. »Es ist ganz ei n fach.«
Für sie war es wirklich einfach. Ich bin überzeugt, Mu t ter wäre ohne jede Schwierigkeit fähig gewesen, mit e i nem Haufen jugendlicher Rechtsbrecher fertigzuwerden.
Im Hotel’in Cauterets wohnte ein etwas älteres Mä d chen, dessen Mu t ter mit den Selwyns befreundet war. Sie hieß Sybil Patterson, und ich verehrte sie. Ich fand sie wunderschön, am meisten bewunderte ich ihre schwe l lenden Formen. Busen war damals sehr in Mode. Meine Großmutter und meine Großta n te hatten sehr großzügige Kurven, und es fiel ihnen schwer, sich ohne »Kollision« mit schwesterlichen Küssen zu begr ü ßen. Während ich die Busen erwachsener Frauen als selbstverständlich b e trachtete, rief die Tatsache, dass Sybil einen besaß, nei d volle I n stinkte in mir wach. Sybil war vierzehn. Wie lange sollte ich noch zuwarten, bis auch mir diese prächtigen Attribute gegeben würden? Acht Ja h re? Noch acht Jahre lang eine Bohnenstange? Ich sehnte diese Zeichen weibl i cher Reife he r bei. Nun ja, es hieß, sich in Geduld üben. In acht Jahren – vielleicht schon in sieben, wenn ich Glück hatte – würden meiner hageren Gestalt auf wu n derbare Weise zwei große Rundungen en t sprießen. Ich brauchte nur zu warten.
Die Selwyns blieben nicht so lange wie wir in Cauterets. Sie reisten ab, und ich hatte die Wahl zwischen zwei a n deren Freundinnen: eine kleine Amerikanerin, Marguerite Prestley, und eine Engländerin, Margaret H o me. Meine Eltern hatten sich in der Zwischenzeit mit Margarets E l tern angefreundet und hofften jetzt natürlich, dass Marg a ret und ich uns in gle i cher Weise zusammenschließen würden. Wie das in solchen Fällen schon ist, zog ich die Gesellschaft von Marguer i te Prestley bei Weitem vor, die Redewendungen und Worte g e brauchte, die ich nie zuvor gehört hatte. Wir erzählten einander viele G e schichten. Eine von Marguerites Erzählungen, die ich ganz beso n ders aufregend fand, hatte die Gefahren zum Inhalt, die dem Menschen drohten, der einem scarrapin bege g nete.
»Aber was ist denn ein scarrapin!«, fragte ich immer wi e der.
Marguerite lieferte mir nur eine dürftige Beschreibung dieses schr e ckenerregenden Geschöpfes. Ich wandte mich an Marie, aber die hatte auch nie etwas von scarr a pins gehört. Schließlich ging ich Vater an. Auch er hatte anfangs gewisse Schwierigke i
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