Meine gute alte Zeit - Teil I
»meine Kameen« und so weiter. Und dann besaß sie auch noch sechs Broschen, für die meine Schwester und ich ein persönliches und lebhaftes Interesse bekund e ten. Das waren »die Fische«, fünf kleine Fische aus Brillanten, »die Mistel«, eine kleine mit Di a manten und Perlen besetzte Brosche, »mein Parmavei l chen«, eine Emailbrosche in der Form eines Parmavei l chens, »meine Heckenrose«, ebenfalls eine Blumenbr o sche, und, die schönste von allen, »mein Esel«, eine B a rockperle in der Form eines Eselskopfes, in Brillanten gefasst. Die Empfängerinnen aller dieser Schmuckstücke nach dem Ableben meiner Mutter sta n den bereits fest. Madge würde das Parmaveilchen (ihre Lie b lingsblume), das Brillantdiadem und den Esel bekommen. Für mich war die Rose, die Brillantspange und die Mistel bestimmt. Dieser Zuteilung von Besitz für die Zukunft wurde in meiner Familie ausgiebig gefrönt, eine G e pflogenheit, die keinerlei trübe Gedanken an den Tod aufkommen ließ, wohl aber eine von herzlichen Gefühlen getragene Wü r digung zu erwartender Gaben in sich schloss.
Haus Ashfield war voll von Ölbildern, die mein Vater kaufte. Es war damals Mode, die Wände so dicht wie möglich mit Bildern zu behängen. Eines war mir verspr o chen worden – ein großes Seestück mit einer ei n fältig lächelnden jungen Frau, die einen Knaben in ihrem Netz fängt. Als Kind war sie für mich Inbegriff der Schönheit, und es ist betrüblich fes t zustellen, wie wenig ich davon hielt, als die Zeit kam, die Bilder zu verka u fen. Selbst sentimentale Regungen konnten mich nicht bew e gen, auch nur ein einziges zu behalten. Während Vater in Bi l dern einen durchwegs schlechten Geschmack bewies, war jedes einzelne Möbe l stück, das er kaufte, ein Juwel. Er hatte eine Schwäche für Möbel ve r gangener Stilepochen, und die Sheraton-Schreibtische und die Chippe n dale-Stühle, die er erwarb – oft zu erstaunlich niedrigen Pre i sen, weil damals Bambus die große Mode war –, es ist ein Vergnügen, mit ihnen zu leben und sie zu besitzen.
Er, meine Mutter und meine Großmutter teilten eine Le i denschaft: Sie sammelten Porzellan. Als Oma zu uns zog, brachte sie ihr Dresden und ihr Capo di Monte mit und füllte damit unzählige Schränke im Hause Ashfield. Es mussten sogar zusätzliche Schränke angeschafft we r den, um alles unte r zubringen. Kein Zweifel, wir waren eine Familie von Sammlern, und ich habe diese Leide n schaft geerbt. Bedauerlich ist nur, dass man keine Rech t fertigung hat, selbst eine Sammlung anzulegen, wenn man eine schöne Porzellan- und Möbelsam m lung erbt. Aber die Sa m melleidenschaft will befriedigt werden, und so habe ich eine hübsche Anzahl von Papiermaschee-Möbeln und kleinen Kunstgegenständen zusammengetr a gen.
Als der große Tag kam, war ich so aufgeregt, dass mir ganz übel wurde und ich kein Wort hervorbringen kon n te. Wenn mich etwas heftig bewegt, pflegt mich das der Sprache zu berauben. Das erste deutliche Bild von uns e rer Reise ist der M o ment, da wir in Folkestone an Bord gingen. Mutter und Madge nahmen die Fahrt über den Kanal durchaus ernst. Sie waren keineswegs seefest und zogen sich sofort in die Toiletten z u rück oder legten sich nieder, schlossen die Augen und hofften, ohne allzu gr o ßes Ungemach nach Frankreich zu gelangen. Trotz der schlechten Erfahrung, die ich in einem kleinen Dinghy gemacht hatte, war ich d a von überzeugt, seefest zu sein. Vater bestärkte mich in diesem Glauben, und so blieb ich bei ihm auf Deck. Es war vermutlich eine völlig ruh i ge Überfahrt, aber ich rechnete es nicht dem Meer als Ve r dienst an, sondern meiner eigenen Fähigkeit, den Welle n bewegungen zu widerstehen. Wir legten in Bo u logne an, und ich war stolz, als mein Vater verkündete: »Agatha ist ein ganz tüchtiger Seemann.«
Aufregend war auch das Zubettgehen im Schlafwagen. Ich fuhr in e i nem Abteil mit Mutter und wurde in das obere Bett verfrachtet. Mu t ter hatte eine große Vorliebe für frische Luft, und die Dampfheizung im »Wagon Lits« war eine Qual für sie. Immer, wenn ich aufwachte, sah ich, wie sie den Kopf aus dem Fenster steckte und in großen Z ü gen die Nachtluft einatmete.
Früh am Morgen kamen wir in Pau an. Wir bestiegen den wartenden Hotelwagen und trafen wenig später beim Hotel Beauséjour ein. Das Hotel hatte eine große Terra s se, mit Au s sicht auf die Pyrenäen.
»Da!«, sagte Vater. »Siehst du? Das sind die Pyrenäen. Die mit Schnee
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