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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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die Nummer vierzehn, ein Weißer von der Mosel. Bei dieser Nummer versumpften auch wir, fanden aber immerhin nach zwei Stunden und einem anregenden Gespräch über die politischen Entwicklungen in Deutschland auf unseren eigenen Beinen zum Hotel zurück.
    Immer wieder stellte ich mir vor, ob eine solche Veranstaltung auch mit Wodka möglich gewesen wäre. Ich stellte mir ein Wodkasensorium auf dem Roten Platz vor. Unter demselben Spruch, »Denk global, trink national«, würden dort jedem Gast die Augen verbunden, er würde in die eine Hand ein Glas mit einem Wodka der Marke Kasatschok und in die andere einen Wodka namens Schneewittchen bekommen. In die dritte Hand würde ich ihm noch diesen neuen Wodka mit dem großspurigen Namen Der Paradiesische geben. Obwohl, wozu eigentlich die Augen verbinden, wenn sie alle gleich aussehen? Nein, der arme Kerl müsste einen der drei ihm angebotenen Wodkas trinken und das Publikum raten, was er getrunken hat. Wird der Mann noch stehen oder gleich fallen? Wird er zu einem Kasatschok oder zum Schneewittchen? Und wird er noch klar und deutlich »Tschüss, auf Wiedersehen« sagen können, bevor er ins Paradiesische kippt? Ein schlimmer Zirkus.
    Ein Weinsensorium auf dem Roten Platz und überhaupt überall wäre dagegen die Rettung des Landes. Der Wein würde die Gemüter beruhigen und die Menschen kommunikativer, neugieriger, freundlicher machen. Eine offene Gesellschaft würde entstehen. Die Medien würden frei berichten können, weil niemand sich mehr wegen irgendwelcher kleiner Sticheleien ärgern würde. Die Menschen würden sich stattdessen mehr um die Allgemeinheit sorgen, sie würden gutes Essen kochen und, statt vor dem Fernsehen zu hängen, Bäumchen pflanzen und Kinder zeugen. Vorausgesetzt, die Nummer vierzehn, der trockene Mosel, käme ins Programm.
     

 
12 -
Ausgehen im Nordkaukasus
     

     

In Berlin gehen wir jeden zweiten Tag aus, ins Kino oder ins Restaurant. Wir fahren sogar manchmal in die Oper. Die Kinder gehen gerne in Museen, Mumien beispielsweise mögen sie sehr. Wenn wir keine Lust auf Opern oder Mumien haben, gehen wir einfach in die Eisdiele um die Ecke. Es ist uns letzten Endes egal, wohin, Hauptsache ausgehen. In meinen Augen ist es eine Lebensnotwendigkeit, ja geradezu eine gesellschaftliche Pflicht, regelmäßig auszugehen. Wie soll man sonst jemanden kennenlernen, sich verlieben, Kinder kriegen? Wenn eine Gesellschaft aufs Ausgehen verzichtet, wird sie über kurz oder lang in den staubigen Annalen der Geschichte verschwinden. Nur die Fernsehgeräte werden weiterleuchten.
    Das alles habe ich mehrmals versucht, meiner nordkaukasischen Verwandtschaft zu erklären – vergeblich. Wie soll zum Beispiel die unverheiratete Tochter von Onkel Joe jemanden kennenlernen, wenn sie Abend für Abend im Kreis ihrer Familie auf dem Hof verbringt. Ich gebe zu, es ist lustig auf dem Hof. Wir spielen dort abends im Garten Verstecken, trinken Tee und Wein, singen im Chor alte sowjetische Schlager, und die Hunde – Stepan, Tschernuschka und Schutschka – jagen mit lautem Bellen die kleinen Hühnchen des Nachbarn über den Hof. Die Hühnchen sind in ständiger Reiselaune, sie finden es langweilig, stur auf dem eigenen Hof herumzusitzen. Deswegen kriechen sie immer wieder unter dem Zaun durch zu uns in den Garten oder fliegen über ihn hinweg. Hier bekommen sie es jedoch mit den Hunden zu tun, die diese Hühnerimmigration leidenschaftlich bekämpfen.
    »Hol sofort deine Küken zurück, sie haben Hundestress!«, rufen wir dem Nachbarn Gleb Michailowitsch zu.
    »Diese Idioten!«, ruft er zurück. »Sollen sie doch alle verrecken, ich will diese Verräter nicht mehr sehen! Bringt sie um!«, schreit Gleb Michailowitsch.
    In der Regel kommt der Nachbar dann doch. Aber statt seine Vögel einzusammeln, bleibt er bei uns am Tisch sitzen, erzählt Spannendes aus seinem Leben und macht manchmal mit beim Versteckspiel. Gleb Michailowitsch ist ein leidenschaftlicher Versteckspieler, er versteckt sich gründlich in den Büschen und kommt von alleine nicht mehr heraus. Einmal haben wir die halbe Nacht nach ihm gesucht. Ermüdet sind wir schließlich schlafen gegangen. Am nächsten Morgen fanden wir ihn schnarchend unterm Apfelbaum, er war noch während des Spiels eingeschlafen.
    Die Abende auf dem Hof sind abwechslungsreich, das Ausgehen im Kaukasus ist dagegen eher arm an Möglichkeiten. Rund um unsere Straße erstreckt sich die Steppe, so weit das Auge reicht. Wo will man da

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