Meine kaukasische Schwiegermutter
Wärmen am Winterabend vor dem Fernseher. Wenn sie aber etwas zu feiern haben oder einfach zum Abendessen, wird schweres Geschütz, in der Regel selbst gemachtes Hochprozentiges, aufgefahren.
Und ständig sieht man in den nordkaukasischen Kurorten, die eigentlich von maladen Menschen besucht werden, wie diese Kranken in den Cafés schon zum Frühstück einen kleinen Wodka trinken oder mit einem Wodka und einem Buch am Strand liegen oder bei ihren Geschäftstreffen in einem Restaurant gleich eine ganze Flasche Wodka bestellen. Eine Erklärung dafür wäre, dass Russen bei Wodka ein besonderes Stehvermögen beweisen, weil sie einen besonderen Wodkamagen haben und ihn besser als andere Völker vertragen. Aber nichts davon ist wahr. Vom Wodkatrinken fallen die Russen genauso um wie andere Völker, oft sogar noch schneller. Das ältere, intelligent aussehende Ehepaar am Strand in Schelesnowodsk, das neben uns im Café saß und sich zum Frühstück 300 Gramm Wodka und zwei große Biere bestellte, war in zwanzig Minuten Holz. Da war nichts mehr mit Baden und Spazierengehen, der Tag war gelaufen. Auch die tüchtigen Geschäftsleute, die im Restaurant ihre Geschäfte mit Wodka erledigten, sind zu keinem Abschluss gekommen.
Wein macht die Menschen lustig und gesprächig, Wodka dagegen macht sie schläfrig und aggressiv, eine explosive Mischung. Mehrmals haben sich russische Denker und Schriftsteller in diese Richtung geäußert. Sie meinten, dass es viele Probleme hier nicht gegeben hätte, wenn die Russen statt Wodka Wein trinken würden. Doch die Weinkultur wird in Russland so gut wie gar nicht popularisiert, während der Wodka als traditionelles Nationalgetränk seit Jahrhunderten gefeiert wird. Ganz anders in Deutschland. Hier werden ständig Anstrengungen unternommen, die Menschen von Bier auf Wein umzusteuern, damit sie nicht einschlafen und zu aktiven Bürgern werden. Meine Frau und ich wurden sogar einmal in Leipzig auf der Straße angesprochen.
»Wetten«, sagte ein als Fluglotse gekleideter Menschenfreund zu uns, »wetten, dass Sie mit geschlossenen Augen einen Roséwein nicht von einem Weißwein geschmacklich unterscheiden können?«
»Ich vielleicht nicht, aber meine Frau schon!«, antwortete ich diplomatisch.
Wir standen auf dem Leipziger Augustplatz vor einem auf dem Platz aufgebauten sogenannten Weinsensorium, einer Wanderausstellung, in der die Einheimischen mit den besten deutschen Weinen verwöhnt werden. Die Stadt Leipzig feierte gerade das Jubiläum ihres alten Aufbruchs von 1989. Angeblich waren die Wiedervereinigung und der Niedergang der DDR durch Weingenuss beschleunigt worden. Der letzte Aufbruch lag hier aber bereits zwanzig Jahre zurück, seitdem wurde in Leipzig nicht mehr aufgebrochen.
Zum Feiern dieses Jubiläums hatten sich die Leipziger Ungeheuerliches ausgedacht. Sie projizierten Bilder der damaligen Demonstrationen auf Hauswände, dazu liefen die Geräusche des Aufbruchs vom Band. Überall im Zentrum waren sie zu hören, tausende aufgebrachter Stimmen von unsichtbaren Leipzigern, die 1989 mehr Freiheit gefordert hatten. Die realen, sichtbaren Leipziger saßen derweil im Weinsensorium auf dem Augustplatz unter dem großen Spruch »Denk global, trink national« und kosteten sich durch vierzehn Sorten bester Moselweine sowie einen fünfzehnten, der aus Sachsen kam. Die Leipziger tranken still und fröhlich, sie hatten nun ihre Freiheit, es gab nichts mehr zu fordern.
Meine Frau und ich gingen hinein. Im ersten Raum, der wie eine Flugzeugkabine gestaltet war, wurden meiner Frau die Augen verbunden, und sie bekam nacheinander drei Gläser in die Hand, mit Weißwein, Rotwein und Rosé. Sie musste am Geschmack der Weine ihre Farbe erkennen. Natürlich erledigte sie diese Aufgabe mit Charme und wurde mit einem Applaus und einem weiteren Wein belohnt. Danach gingen wir durch die Ausstellung. Im ersten menschenleeren Raum waren Karten ausgestellt, auf denen man sehen konnte, wo in Deutschland welcher Wein angebaut wurde. Im zweiten leeren Raum wurde die Erde verschiedener Weinberge präsentiert, und im dritten leeren Raum lagen Gedichtbände und Sachbücher über Wein. Der letzte Raum war knackevoll. Hier fand die Weinprobe statt. Die ersten zwei Getränke waren umsonst, für jedes weitere musste man einen Euro zahlen. Aus patriotischen Gründen wurde besonders stark für die Nummer fünfzehn, den trockenen Sachsen, geworben. Der heimliche Renner war aber, wie mir einige Leipziger versicherten,
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