Meine kaukasische Schwiegermutter
jedem Haus anders heißt und auch anders aussieht, aber ziemlich gleich schmeckt. Jahrzehntelang haben die Menschen dort ihren Schnaps aus Weizen gebrannt, eine Art Wodka, den sie aber aus Achtung vor ihrer eigenen Arbeit »Cognac« nannten. Vor einem Jahr ist das ganze Dorf meiner Schwiegermutter allerdings auf Weintrauben umgestiegen. Jetzt machen sie Grappa, den sie aber ebenfalls nach alter Sitte als Cognac bezeichnen.
Unser Nachbar in der Steppenstraße, Gleb Michailowitsch, schüttelte bloß ungläubig den Kopf, als ich ihm vom europäischen Treiben, dem Auftauchen und Verschwinden vergrippter Vögel und wahnsinniger Rinder, erzählte. Nachdenklich tranken wir seinen Cognac.
»Auch bei uns spinnt die Fauna in der letzten Zeit«, meinte Gleb Michailowitsch. »Viele Tierarten, die es vor kurzem noch gab, lassen sich nicht mehr blicken. Den braunen Fuchs zum Beispiel sieht man kaum noch, auch Wildschweine sind sehr selten geworden.« Vor allem wunderte ihn aber der Umstand, dass er, ein leidenschaftlicher Jäger und Naturbeobachter, so gut wie keine springenden Bartmäuse mehr sah, die noch vor einem Jahr überall, an jeder Ecke, zu sehen waren und dort ihre Tänzchen tanzten.
Mir blieb der Cognac im Hals stecken.
»Wer war noch mal an jeder Ecke und tanzte?«, unterbrach ich den Nachbarn. »Was für Mäuse?«
Gleb Michailowitsch schaute mich misstrauisch an.
»Tu jetzt nicht so, als ob du sie nicht gesehen hättest. Bartmäuse kennt hier jeder. Ich habe nie eine erwischt, weil sie unglaublich schnell sind. Gut gewachsene Nagetiere mit weißem Bart und pinselartigen Fellbüschchen an den Ohren. Sie leben unter der Erde und kommen eigentlich nur im Frühling und im Herbst für ein paar Monate raus. Aber im letzten Frühling sind sie nicht gekommen, wahrscheinlich sind die Bartmäuse alle unter der Erde verreckt«, seufzte der Nachbar.
Ich sagte nichts mehr dazu, dachte jedoch am späten Abend weiter darüber nach. Die tanzenden Bartmäuse gingen mir nicht aus dem Kopf. Ich zählte zwei und zwei zusammen, wobei sich folgendes Bild ergab: Jahrzehntelang brannten Menschen im Kaukasus ihren Schnaps aus Weizen, dabei waren sie von bärtigen tanzenden Mäusen umgeben. Letztes Jahr stiegen die Bewohner von Weizen auf Weintrauben um. Exakt zu diesem Zeitpunkt verschwanden die Bartmäuse aus dem Kaukasus, als ob es sie nie gegeben hätte. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte. Vielleicht hatte meine Freundin doch Recht, und es ist tatsächlich alles bloß reine Kopfsache?
11 -
Einige Besonderheiten
des Weinanbaus
im Nordkaukasus
Ende September beginnt in der Steppenstraße die Weinernte. Richtige Weinberge wie an der Mosel gibt es in der Steppe zwar nicht, dafür hat Onkel Joe in seinem Garten und auf dem Hof spezielle Gartentürmchen gebaut, drei an der Zahl, und sie mit Weinreben umranken lassen. Im Sommer sitzen wir in einem solchen Türmchen im Schatten der Weinreben und verkosten die Weinproduktion des Onkels: einen dunkelroten, der nach ihm benannt wurde, und einen Roséwein, auch als Restwein bekannt. Beide Weine haben eine eindringliche, typisch kaukasische Duftnote. Sie riechen nach Mühe und nach Stolz auf das freie Leben in der Steppe.
Der Wein ist stark und nicht ganz trocken, aber, wie man im Westen sagt, leicht im Abgang. Der unerfahrene Trinker wird es allerdings schwer im Abgang und garantiert Kopfschmerzen am nächsten Tag haben. Er braucht Zeit, bis sein Organismus sich an den kaukasischen Wein anpasst. Ich hatte früher nach einem Glas Schwierigkeiten, mich überhaupt zu bewegen, meine Beine waren plötzlich wie eingeschlafen. Onkel Joe meinte dazu, der Sinn des Weines sei nicht, Menschen zum Laufen zu bringen, sondern sie in ein interessantes Gespräch zu verwickeln. Und für ein solches Gespräch brauche man keine Beine, sondern den Kopf. Aber auch mein Kopf brauchte lange, um ins Gespräch zu kommen. Die Einheimischen haben, nebenbei gesagt, so gut wie nie Kopfschmerzen, nur wenn sie über längere Zeit keinen Wein trinken.
Die Tradition des Weinanbaus hat die Familie aus Tschetschenien, aus Grosny, mitgebracht. Dort hatte die Mutter von Onkel Joe, die Großmutter meiner Frau, schon immer Wein angebaut, und ihr Vater, der Urgroßvater meiner Frau, arbeitete sogar als Hauptwinzer in der Kolchose »Morgenröte des Kommunismus«. In der Steppenstraße angekommen, haben sie gleich im ersten Jahr, 1992, die ersten Reben gepflanzt. Inzwischen sind die von damals schon in die
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