Meine kaukasische Schwiegermutter
Jahre gekommen, sie geben keinen guten Wein mehr und müssten durch jüngere ersetzt werden. Onkel Joe kauft auch gelegentlich neue Reben, es sind allerdings immer die gleichen zwei Weintraubensorten, die ihn anziehen, beide tragen Frauennamen: Die eine Traube heißt »Isabella« und die andere »Lydia«. »Isabella« gibt einen sehr gehaltvollen fruchtigen Wein, der herb, beinahe bitter schmeckt. »Lydia« ist leicht und süß und riecht phantastisch nach meiner Kindheit. Vor einiger Zeit hatte Onkel Joe es auch mit einer neuen Traube versucht, der georgischen Rkaziteli. Ihren Wein haben wir aber noch nicht richtig ausprobiert.
Die Winzerei des Onkels ist ein Hobby. Er baut Wein in kleinen Mengen an, nur für den Eigenbedarf. Die lausigen 150 – 200 Liter reichen gerade, um den Winter zu überstehen. Es wird alles per Hand, genauer gesagt: mit den Händen von Onkel Joe, gemacht: die Weintrauben gesammelt und in einem großen Fass gepresst, dann wird der Saft in einem anderen Fass mit etwas Zucker zehn Tage lang vergoren, bis der Wein etwas heller geworden ist. Danach wird er durch ein Sieb gegossen und zur weiteren Reifung beiseitegestellt. In den trockenen Rest wird neues Wasser gegossen – das wird der Restwein sein, nicht so toll wie der Erstwein, aber auch nicht schlecht.
Alle Nachbarn haben ihre eigenen Traubensorten, Methoden und Tricks. Alle geben mit ihrem Wein an und besuchen sich den ganzen Herbst ununterbrochen gegenseitig, um Erfahrungen auszutauschen und das Produkt der Nachbarn zu kosten. Im Herbst befindet sich das ganze Dorf auf einer permanenten Weinprobe. Am liebsten trinkt hier jeder natürlich seinen eigenen Wein. Onkel Joe steht seinem Produkt äußerst patriotisch gegenüber. Mein Weingeschmack ist durch italienische, deutsche und französische Weine verdorben, ich bin kein großer Freund der kaukasischen Produktionen, trinke aber trotzdem brav mit und nehme die Kopfschmerzen in Kauf, weil ich diese Art von Weinpatriotismus unterstütze.
Leider stehen die Kosaken in Sachen Weinanbau in Russland auf verlorenem Posten. Nach wie vor wird dort nicht Wein, sondern Wodka als der kommunikativste, gesündeste und wohlschmeckendste Alkohol geschätzt und, was noch schlimmer ist, in Mengen getrunken. Die Russen haben eine Wodka-Macke. In einem kaukasischen Supermarkt, vor einem unendlichen Wodkaregal stehend und nach Alternativen suchend, fand ich in einer Ecke ein koreanisches Elixier, einen Aufguss aus hundert Wurzeln, der eine allgemeine Stärkung der geistigen und physischen Gesundheit, der Sehkraft, der Manneskraft, jeder anderen Kraft, beinahe die Unsterblichkeit versprach. Ich fragte die Verkäuferin, ob das Edelzeug oft gekauft werde und ob es gut schmecke. »Sehr gut!«, nickte sie enthusiastisch. »Fast so gut wie Wodka!«
Dieser Spruch ist die höchste Auszeichnung, die etwas Hochprozentiges in Russland bekommen kann. Dabei schmeckt Wodka nach nichts. Es ist nichts weiter als mit Wasser verdünnter Spiritus zum Reinkippen und Umfallen. Die Erfinder des Wodkas müssen sehr faule Menschen gewesen sein, denn von allen alkoholischen Getränken der Welt macht Wodka am wenigsten Arbeit. Während die Franzosen auf ihren Cognac jahrzehntelang warten, die Kubaner ihren Rum ebenfalls in spezielle Fässer gießen und sogar die Amerikaner ihren Whiskey schon mal am Ufer eines Sees eingraben, um zu kucken, was passiert, wird Wodka schnell und unauffällig durch die Verdünnung von Spiritus hergestellt. Wie die Russen es schaffen, tausend Sorten davon zu produzieren und dabei noch zu behaupten, der eine würde besser als der andere schmecken, aber vor allem, wie sie es schaffen, selbst an diesen Quatsch zu glauben, ist kein Rätsel. Durch massivste Propaganda wird den Menschen klargemacht, dass nicht der Alkohol, sondern alle anderen Stoffe und Substanzen sich schlecht auf das Wohl der Menschen auswirken.
Und so bleibt der Wodka als das klare und reine, von jedem zivilisatorischen Beigeschmack befreite Produkt, die flüssige Gesundheit im Glas. Bei Herzschwäche oder nach einer Herzoperation wird in Russland empfohlen, nichts Schweres zu heben, keine Actionfilme anzuschauen, keine Zeitungen zu lesen und keinen Wein zu trinken, nur ein bisschen Wodka. Das tun die Russen gerne, auch wenn sie keine Herzprobleme haben. Selbst in der Steppenstraße nehmen die Kosaken ihren Wein nicht wirklich als alkoholisches Getränk wahr, eher als eine spaßige Limonade, zur Abkühlung an heißen Sommertagen oder zum
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