Meine letzte Stunde
damaligen Kirche zuzugeben: „Die Angst vor der Hölle war sehr präsent im Christentum, es gab eigene Höllenpredigten, die furchterregend waren. Da gibt es leider eine Angstpsychose. Aber für mich ist die wichtige Botschaft, dem Menschen seine Angst zu nehmen. Ich persönlich kann mir unter Hölle gar nichts vorstellen. Hölle ist für mich, wenn sich ein Mensch so vom Guten abwendet, dass er dann in diesem Zustand weitergeht. Ich hoffe, dass niemand drinnen ist. Manche wollen alle in die Hölle schicken, ich würde mir das bei fast keinem einzigen Menschen trauen. Es hat Hitler und Stalin gegeben, es steht mir nicht zu, da Urteile zu fällen. Ich hoffe jedenfalls, dass die Hölle möglichst wenig bevölkert ist, weil man nie weiß, was einen Menschen wirklich bewegt hat, schlimme Dinge zu tun.“
Was ich vom Opus Dei über Himmel, Hölle und Fegefeuer lernen durfte
Ich habe in den vielen Gesprächen mit praktizierenden Gläubigen, aber auch mit aufgeschlossenen Priestern festgestellt, dass es heute fast niemanden gibt, der an das Fegefeuer oder die Hölle glaubt. In der Hoffnung, doch etwas darüber zu erfahren, reiste ich nach Rom an die vom Opus Dei geführte Universität „Santa Croce“. Martin Schlag, Professor für Moral, stand mir für ein langes Gespräch zur Verfügung. [2]
Ich sprach ihn zunächst darauf an, dass das berühmte Fresko in der Sixtinischen Kapelle über das Jüngste Gericht von Michelangelo von den offiziellen Führern der Vatikanischen Museen so interpretiert wird, dass die Hölle leer sei:
„Es gab eine Strömung in der christlichen Tradition, die davon ausgeht, dass die Hölle leer ist, die sich aber vor allem gegen die Ostkirche nicht durchgesetzt hat. Die beiden Grundvarianten sind Himmel oder Hölle. Das Fegefeuer wird jedenfalls irgendwann leer sein. Das Fegefeuer ist ein Läuterungsort für diejenigen, die noch nicht so weit sind, dass sie in den Himmel kommen können. In meinen Predigten sage ich, das Jüngste Gericht wird darin bestehen, dass ich Jesus in die Augen schaue und sagen muss: ‚Ich liebe Dich.‘ Und da werden manche nur sagen können: ‚Ich.‘ Die bleiben dann auf ewig mit ihrem ‚Ich‘ alleine. Andere werden sagen: ‚Ich liebe‘, die brauchen dann nur noch die Läuterung. Und die, die sagen können: ‚Ich liebe Dich‘, die sind schon reif für den Himmel. Ich kann mir keinen Gott vorstellen, der Leute in die Hölle steckt, weil ich der Meinung bin, dass die Hölle nicht von Gott geschaffen wurde. Gott konnte unmöglich so etwas schaffen wie die Hölle. Sondern die Hölle ist ein Erzeugnis des Menschen. Niemand ist in der Hölle, der nicht in der Hölle sein will. Die Hölle ist auch kein Ort, sondern ein Zustand, in dem man sich auch schon auf Erden befinden kann, zum Beispiel jemand, der total egoistisch ist oder andere Menschen hasst“, legt Martin Schlag seinen Standpunkt dar. Angesprochen auf die Höllenpredigten, die die Menschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sehr detailreich in Angst und Schrecken versetzten, antwortet Martin Schlag: „Es gibt kein Medikament, das nicht irgendwann einmal falsch verwendet wurde. Das ist aber kein Argument gegen das Medikament. Ich kann nicht sagen, dass weil man die Hölle falsch verkündet hat, deswegen gibt es die Hölle nicht. Ich kann nicht die Wahrheit abschaffen. Als Kirche darf ich die Hölle nicht im Sinne der Drohung, aber sehr wohl der Warnung verwenden. Was man daher nicht sagen kann, ist, dass es die Hölle nicht gibt und daher niemand dort landen kann. Ich kann aber umgekehrt von keinem Menschen, auch nicht von Hitler oder Judas, fix annehmen, dass er dort gelandet ist.“
Die Privatisierung der letzten Stunde
Der Nachteil des Himmels besteht darin,
dass man die gewohnte Gesellschaft vermissen wird.
Mark Twain
Heute glauben nur mehr sehr wenige Menschen in der westlichen Welt an die Hölle. Doch noch immer nutzen religiöse Fundamentalisten die Urangst vor der Ungewissheit nach dem Tod aus, um Menschen die Illusion zu vermitteln, sie könnten ihrem bis dahin bedeutungslosen Leben dadurch Sinn verleihen, indem sie sich und Unschuldige in die Luft sprengen, um danach für diese Tat direkt in das Paradies einzugehen, wo die 72 Jungfrauen schon auf sie warteten. Und wieder ist es die scheinbare Verfügungsmacht über die letzte Stunde eines Menschen, die den Fundamentalisten die Macht gibt, diese zu völlig irrationalen Handlungen zu verleiten. Der Katholizismus der Kreuzzugsritter und
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