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Meine letzte Stunde

Meine letzte Stunde

Titel: Meine letzte Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
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sich in ihren ausdrücklichen Willensbekundungen betrogen und drohte mit Exhumierung. Dem hielt d’Hornoy, Voltaires anderer Neffe, die Drohung einer Zivilklage entgegen, die für einen weitreichenden Skandal gesorgt hätte. Die Exhumierung unterblieb darauf. [1]
    Am 11. Juli 1791 wurden Voltaires Gebeine in einem unglaublichen Triumphzug, an dem die ganze Nation teilhatte, von Scellières ins Panthéon in Paris überführt, wo sie bis heute ruhen. Sein Sarkophag erhielt die Inschrift: ALS DICHTER, HISTORIKER, PHILOSOPH MACHTE ER DEN MENSCHLICHEN GEIST GRÖSSER UND LEHRTE IHN, DASS ER FREI SEIN SOLLTE.
    Die Monopolisierung der letzten Stunde
    Das Versprechen des garantierten Weiterlebens nach dem Tod und des Aufstiegs in ein Paradies ist seit Jahrtausenden die Existenzgrundlage fast aller Religionen. Zu groß ist die Versuchung, mittels klarer Gebote und Handlungsanweisungen von der Geburt bis zum Tod die totale Macht über die Menschen auszuüben. Auf die Spitze getrieben, war das der Ablasshandel der katholischen Kirche im Mittelalter. Die völlig verängstigten Menschen, welche vor den Qualen der ewigen Hölle zitterten, wurden erst systematisch manipuliert und dann gnadenlos ausgebeutet. Der berüchtigte Papst Leo X. finanzierte damit seinen aufwendigen Lebensstil, der Petersdom wurde teilweise dadurch gebaut. Auch Martin Luther war entgegen langläufiger Meinung zunächst kein grundsätzlicher Gegner des Ablasses, sondern nur gegen dessen Monopolverwaltung durch den Papst. Dieser sollte nicht allein über den „Gesamtschatz an guten Werken durch die Heilige Gemeinschaft“ verfügen dürfen, kritisierte Luther. Ganz arg trieb man es zeitweise in Sizilien, wo man sich den Ablass schon vor der Tat holen konnte, quasi gegen Vorauskasse, um danach jemanden ohne schlechtes Gewissen umbringen zu können.
    Die Lehre der damaligen Kirche war ganz einfach: Wenn Du immer brav beichten gehst, wenn Du für Deine Sünden durch gute Werke gezahlt hast, dann kannst Du Dir sicher sein, dass wir Dich frei machen werden und Du nach einem kurzen Aufenthalt im Fegefeuer direkt in den Himmel kommst. Man handelte also mit Fegefeuer, Himmel und ewiger Verdammnis. Das begann schon bei der Geburt. Der kluge Augustinus stellte nämlich fest, dass das unschuldigste Wesen der Welt, das gerade neu geborene Kind, gar nicht unschuldig, sondern mit der Erbsünde belastet sei. Nur die sofortige Taufe des Säuglings sicherte daher den Eintrittsschein für den rechten Weg – und der Kirche die absolute Macht über jede kommende Generation. Kam der Pfarrer zu spät, um ein unmittelbar nach der Geburt gestorbenes Kind noch zu taufen, wurde es außerhalb der Friedhofsmauern verscharrt. Sogar schon im Diesseits wurden die Verdammten des Jenseits genau abgetrennt. Man sagte den Menschen, die zum großen Teil völlig ungebildet und in abergläubischer Angst lebten: Wir wissen, wie es geht, wir machen die Regeln. Du musst nur glauben und tun, was wir Dir sagen.
    Es geht hier nicht um eine Abrechnung mit den bekannten Sünden der katholischen Kirche, sondern darum, zu zeigen, dass das entscheidende Element für das Funktionieren ihres Geschäftsmodells die letzte Stunde war. In der letzten Stunde jedes einzelnen Menschen musste ein Vertreter der himmlischen Macht anwesend sein, der allein darüber entschied, ob dieser erlöst sterben durfte. Auch wenn das heute für die meisten absurd klingt, dürfen wir nie vergessen, dass fast alle Menschen in der damaligen christlichen Welt innerlich fest davon überzeugt waren, dass sie in der ewigen Hölle landen würden, wenn sie den falschen Weg gingen. Erst die Aufklärung und die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften erlaubten immer mehr Menschen, dieses sehr einfache Erklärungsmodell mit ihrem Verstand in Frage zu stellen. Deshalb sah der Klerus auch so eine große Gefahr in einem brillanten Geist wie Voltaire, der ihr so sicher scheinendes Gebäude ins Wanken brachte. Umso wichtiger war es der Kirche daher, gerade einen ihrer Hauptgegner wie Voltaire in seiner letzten Stunde wieder zu vereinnahmen, um in die Welt hinausposaunen zu können: Im Angesicht der ewigen Verdammnis hat auch er abgeschworen und ist reuig zurückgekehrt. Als Voltaire auch am Ende standhaft blieb, versuchte man mit allen Mitteln die Legende seiner Höllenfahrt zu untermauern.
    Großartige Seelsorger und hohe Würdenträger wie der 66. Abt des Stiftes Melk, Burkhard Ellegast, zögern heute keine Sekunde, diesen Irrweg der

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